Das Erhabene streifen. Historische Bezugspunkte der Malerei von Cornelius Völker

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von Doris Krystof
aus: Cornelius Völker - Malerei, Schirmer/Mosel-Verlag, München, 2004

„Wie die kunsthistorische Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht, kann man nicht kontrollieren.“1

Jeff Wall, Künstler und promovierter Kunsthistoriker, hat gut reden: Seine großformatigen Fotografien, die häufig auf den ersten Blick wie Schnappschüsse wirken, enthüllen erst bei genauerer Betrachtung - und bei entsprechendem Hintergrundwissen - die in ihnen kunstvoll arrangierten Bezüge zur kunsthistorischen Tradition. Mag sein, dass Jeff Wall jeweilige Referenzen im einzelnen nicht kontrolliert abruft und in seine Bilder einbaut, sondern dass er den kunsthistorischen Motivvorrat ab der frühen Neuzeit verinnerlicht hat und bei der Komposition seiner Bilder intuitiv darüber verfügt. Jedenfalls stellt die Kunstgeschichte einen wichtigen Bezugspunkt für die seit 1978 in Leuchtkästen präsentierten Fotografien dar. Genau genommen, bildet der Rückgriff auf erlesene Vorbilder einen wichtigen Kontrapunkt zu den aus der Werbung entlehnten Bildträgern, denn Jeff Walls Bilder beziehen aus dem Kontrast von High und Low einen Großteil ihrer Wirkung.

Ein kritisch-reflektierter Rückbezug auf die Geschichte, ein produktiver Umgang mit der Vergangenheit, ist schon immer ein zentraler Bestandteil der Kunst gewesen. Auf besondere Weise gilt das für die so genannte Postmoderne und da insbesondere für die Malerei. Martin Kippenberger etwa erklärte in einem Interview: „In der Malerei musst du gucken, was ist noch übrig an Fallobst, das du malen kannst“2. Und mit Fallobst meinte er die wenigen in der Malereigeschichte noch nicht ausgereizten Motive - wie etwa Eier oder Spiegeleier, die der Ironiker Kippenberger folgerichtig ausgiebig in seinem Werk zur Darstellung brachte. Kalkulierte Motivrecherche wie bei Kippenberger einerseits, angeblich unkontrolliertes Zitieren der Kunstgeschichte wie bei Wall andererseits - deutlich kommt in beiden Fällen das Wissen um die Unmöglichkeit von Originalität, Innovation und Singularität zum Ausdruck. Von der unvermeidlichen Last der Tradition sprach jüngst auch der amerikanische Maler John Currin, erfolgreicher Verfasser von haarscharf an der Grenze zum Kitsch operierenden Gemälden. An jedem Strich, den man mache, so Currin, hänge viel Gewicht von 1Jeff Wall im Interview mit Holger Liebs, in: Süddeutsche Zeitung, 24./25. Mai 2003 2 In: Martin Kippenberger, Picasso vollenden. Gespräch mit Daniel Baumann. In: Kippenberger leicht gemacht. Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 28 Bezüglichkeit, und der Trick bestünde darin, alle diese Bezüge passieren zu lassen, ohne sich darum zu kümmern. Bei Currin bringt diese Haltung einen Stil hervor, der bisweilen nahtlos an Zeichnungen der Renaissance und des Manierismus anschließt, um häufig bei einem Look zu landen, der nicht weit von den Helga-Bildern des amerikanischen Kitschiers Andrew Wyeth entfernt ist. Kann man als Künstler - um noch einmal auf das Eingangszitat von Jeff Wall zurück zu kommen - tatsächlich nicht kontrollieren, wie die kunsthistorische Vergangenheit in die Gegenwart hinein reicht? Beim Betrachten von Bildern lassen sich durchaus unterschiedliche Strategien der Bezugnahme auf Kunstgeschichte erkennen, und indem man diese und die dahinter stehende Intention ansieht und beschreibt, erfasst man einen wichtigen Aspekt künstlerischer Produktion. Denn Malerei ist ohne Malereigeschichte nicht möglich, und sie kommt nicht aus, ohne die Bedingungen des Mediums zu reflektieren.

Was Cornelius Völker betrifft, mag sein virtuoser und expressiver Pinselduktus auf den ersten Blick darüber hinweg täuschen, dass diese Malerei einer durchaus bedächtigen, reflektierten Haltung entspringt. In der Kunstgeschichte ausnehmend gut instruiert, greift Völker immer wieder auf unterschiedliche Aspekte der Tradition zurück, ohne dies jedoch zum Konzept seiner Malerei zu erheben. Völkers Rückbezug auf die Malereigeschichte ist eigenwillig. Als ein Beispiel unter vielen seien die Strohhalm-Bilder genannt, Gemälde von zwei oder drei rotweiß gestreiften Trinkhalmen, die in unterschiedlichen Konstellationen auf eine neutral gehaltene monochrome Fläche gesetzt sind. Natürlich wird hier eine ganze Ahnenreihe von Streifenbildern zitiert, und das allein durch die malerische Darstellung eines Gegenstandes, der gewissermaßen als ein Ready-made der Streifenmalerei angesehen werden kann. Hinsichtlich der Streifenmalerei des amerikanischen Künstlers Frank Stella hatte Carl Andre einst gesagt, „Frank Stellas Malerei ist nicht symbolisch. Seine Streifen sind die Wege des Pinsels auf der Leinwand. Diese Wege führen allein in die Malerei.“3 Auf Cornelius Völker umgemünzt, könnte man sagen, dass bei ihm die Streifen zwar aus der Malerei hinausführen - in Richtung malerisch zu sehender Dinge der Alltagswelt, aber dass sie dennoch ganz und gar delikate Malerei vorführen. Dieser grundlegende Zug einer Äquivalenz von Darstellung und Dargestelltem, von Malerei und Motiv, zeigt sich bei Corneius Völker schon in den frühen 90er Jahren. Beginnend mit dem Motiv cremiger Torten reicht es über die Darstellung von fleischigen, aus weißer Unterwäsche hervorquellenden Körpern in der Serie „Feinripp“ zu den mit Quark bestrichenen Broten und den Aschebildern aus jüngster Zeit.

Cornelius Völkers weit gespanntes historisches Interesse gilt malerischen Verfahren aller Epochen. Er greift auf motivische Vorbilder des 19. Jahrhunderts zurück, so etwa auf Millets Ährenleserinnen, wobei die Protagonistinnen des Beginns realistischer Malerei, redlicher Arbeit nachgehende Bäuerinnen bei Völker in kokett sich mit unverschämt kurzen Miniröcken bückende „Große Damen“ verwandelt werden. Ein anderer Rückgriff auf die Malerei des 19. Jahrhundert bleibt scheinbar näher am Ausgangsmotiv. Manets Darstellung der Tänzerin Lola de Valence gibt das Vorbild ab für zahlreiche Ballerina-Figuren, die aber weit über ein nur zierlich-hübsches Motiv hinausgehen und bisweilen unterschwellig physische Gewalt und psychische Deformation erkennen lassen.4 Ikonografisch lassen sich bei Völker etliche weitere Anknüpfungspunkte der Auseinandersetzung mit der Malereigeschichte präzisieren, und oftmals zeigt sich daran ein ausgeprägter Hang zum Grotesken oder Absurden. So enthält die umfangreiche Serie „Beine“ aus dem Jahr 1997 eine Anspielung auf Rembrandts Bild der badenden Hendrickje – dargestellt ist die Ehefrau des Künstlers, die mit hochgehobenem Kleid knietief im Wasser steht, wobei Blässe und Fleischlichkeit der Beine durch eine kunstvolle Lichtdramaturgie hervorstechen. Auch viele andere Motivgruppen bei Völker knüpfen an das im 20. Jahrhundert von malerischen Größen wie Cézanne, Matisse, Picasso und anderen unermüdlich formulierte Thema der Badenden an. Luxus, Ruhe und Wollust – so der Titel eines berühmten Bildes von Matisse - des klassischen Motivs der Moderne wendet Völker allerdings in Verflüssigung und Verlorenheit. Etwa in den frühen Schwimmer-Bildern oder in den eher kleinformatigen Darstellungen von Figuren, die ausgestreckt auf bunten Badehandtüchern liegen. Ein müder Reflex der Badenden-Thematik kommt außerdem in der extensiv bearbeiteten Badeschlappen-Serie (1997) zum Ausdruck. Satirisch wird dabei zum einen Vincent Van Goghs Bild der ausgetretenen Schuhe und dessen existenzialistische Deutung durch Martin Heidegger wachgerufen, zum anderen stellen die kleinformatigen Gemälde am Beispiel der bunten Plastikschuhe eine vielfältige Palette grellfarbiger Malerei vor Augen.

Ein weiterer Schwerpunkt von Völkers Anspielungen auf die Kunstgeschichte bezieht sich auf die Nachkriegszeit. Um 1950 kam der Malerei in vielerelei Hinsicht eine extrem wichtige Bedeutung zu. Im Zusammenhang der politischen Neuordnung der Welt, im Zuge der Konsolidierung von West- und Ostblock erfuhr die Malerei eine eminent ideologische Aufladung. Die Entscheidung für Abstraktion oder Gegendständlichkeit avancierte – aus 3 Carl Andre, Zu den ‚Streifenbildern‘ von Frank Stella, in: Sixteens Americans, Kat. The Museum of Modern Art, New York 1959, S. 76, dt. in: Frank Stella. Werke 1958-1976, Kat. Kunsthalle Bielefeld 1977, S. 111 4 Vgl die eindringliche Beschreibung von Stefan Lausch, in Cornelius Völker. Katalog Freiburg, 2000 westlicher Sicht - zum Gradmesser von Freiheit oder Unfreiheit. Amerikanische Künstler des Abstrakten Expressionismus, Barnett Newman, Mark Rothko, Jackson Pollock und andere, entwickelten selbstbewußt ihren Ansatz in Abgrenzung zur europäischen Tradition. Cornelius Völker bezieht sich in mehrfacher Hinsicht auf jene ´heroische´ Epoche der Malerei. Ohne Ansehen der ehemaligen politischen Vereinnahmungen greift er auf diverse malerische Errungenschaften jener Jahre zurück und zitiert, paraphrasiert oder parodiert diese in seinen Bildern. Generell ist Völkers Malerei ganz offensichtlich ein Reflex auf jene modernistische Kultur der Oberfläche, die in der Nachkriegszeit und anschließend in der Pop Art wirksam war, und die die bildende Kunst in einen breiteren, der aufkommenden massengeschellschaftlichen Entwicklung geschuldeten Rahmen stellte. Von einer elaborierten Inszenierung der Oberflächen läßt sich auch angesichts von Völkers pastoser Malerei sprechen, die außerdem von einem ausgeprägten Hang zum Großformat gekennzeichnet ist. Viele seiner Bilder, die leicht eine Höhe von drei Metern oder mehr erreichen, haben tatsächlich wandfüllende Dimensionen und stellen dies auch immer wieder selbstbewußt zur Schau.5 Solche jegliche Staffeleimalerei sprengenden Formate von abstrakten Farbflächen waren in den 50er Jahren Ausdruck des Erhabenen, des Sublimen, wie es bei Barnett Newman heißt, und das großformatige Bild wurde zudem als genuin amerikanische Erfindung deklariert, die sich aus dem in den 30er Jahren von der U.S.-Regierung geförderten Wandmalereiprogramm entwickelt hatte. Völker greift den Aspekt erhabener Größe in gewisser Hinsicht auf, bettet sie aber in eine figurative Bildsprache ein. Die gegenständlichen Motive seiner Bilder, die häufig auschnitthafte Wiedergabe des Dargestellten und die meist extreme Nahsicht treiben die Bilder jedoch vielmehr in Richtung Breitleinwandformat und damit in die Nähe des Kinobildes, dessen historische Vorgänger in den großformatigen Historiengemälde des 19. Jahrhunderts liegen.

An anderer Stelle schließt Cornelius Völker an Pollocks Drippingverfahren beziehungsweise an den Tachismus an, und damit an Kapitel der Kunstgeschichte, die den Zufall zum künstlerischen Prinzip erhoben: Bei der umfangreichen Serie der Schwimmer, die kleine Figuren in giftig bunten Fluten treibend zeigt, entstand die bewegte Wasseroberfläche aus unkontrollierten Farbverläufen, die durch Kippen und Drehen der Leinwand erzeugt werden.6 5 Vgl. dazu die Fotografien von Ateliersituationen, die den meisten Katalogen von Cornelius Völker beigegeben sind, und die häufig den Größensprung herausstellen, so etwa, wenn die Bilder der „Großen Damen“ zum Trocknen im Hinterhof des ersten Ateliers in der Suitbertusstraße in Düsseldorf an einem Flachdachgebäude lehnen und dieses leicht überragen, oder wenn der Künstler sich im Atelier auf einem Fahrrad vor seinen Bildern ablichten lässt, was zwar eine ironoische Anspielung auf das zu kleine, erste Atelier ist, aber dennoch das große Format der Bilder betont. 6 Vgl. Hans-Jürgen Lechtreck, Fest und flüssig, in: Cornelius Vöker, Kat. Düsseldorf und Greven, 1997, S. 55-56 Dass ein Motiv identisch sein kann mit der Form seiner Darstellung und dennoch etwas ganz anderes ist, als der abgebildete Gegenstand, hat Jasper Johns Mitte der 50er Jahre mit dem Bild der amerikanischen Flagge vorgeführt. Cornelius Völker malte in den frühen 90er Jahren große, querformatige Bilder von Schokoladetafeln. Wie einst Johns‘ „Flag“ füllt das Motiv, das aus der seriellen Aneinanderreihung gleicher Felder besteht, den gesamten Bildträger aus und erinnert damit an das ebenfalls von Johns und anderen amerikanischen Künstlern praktizierte „shaped canvas“ - Verfahren. Die historischen Bezugspunkte werden bei Völker jedoch gewissermaßen nur noch gestreift und durch ein so banales Motiv wie Schokolade geradezu ironisiert. Die Vergrößerung des Gegenstandes auf das Format eines veritablen Leinwandbildes sowie die modulhafte und serielle Aneinanderreihung der einzelnen Schokoladenplatten brechen zudem hintergründig mit Maßstabsgerechtigkeit und Rastersequenzen, mit Gesetzen der Minimal Art also und deren Betonung von elementaren Strukturen. Schiere Größe ist bei Völker kein Zeichen für Würde und Ernsthaftigkeit, im Gegenteil. Als ironisches Aperçu auf Erhabenheit lässt sich ein 1997 entstandenes Bild aus der Serie „Beine“ verstehen: Dargestellt ist auf einer Höhe von drei Metern die Figur einer bis zu den Schultern zu sehenden Frau, die, bekleidet mit schwarzen Strümpfen, kurzem Rock und Reißverschlusspullover frontal zum Betrachter steht. In direkter Anspielung auf Barnett Newmans berühmtes Bild „Who’s Afraid of Red, Blue and Yellow?“ ist die gestreifte Strickjacke in Rot, Blau und Gelb gehalten, was die Idee nahelegt, im Reißverschluss des Pullovers einen Verweis auf jene „Zips“ zu sehen, die bei Newman die Bildfläche als senkrechte Linie öffnen oder teilen.

Völkers hintergründige Bezugnahme auf Barnett Newman scheint despektierlich, entspringt aber einer großen Hochachtung für den amerikanischen Künstler. Es geht weder um Parodie oder Persiflage, noch um ein appropriatives Interesse oder gar um bloßes Nacheifern eines großen Vorbilds. Völker bezieht sich auf Newman vielmehr im Sinne einer „Auseinandersetzung nur mit den besten Vorbildern“7 und transformiert diese in sein eigenes Universum der Farben und Figuren. Er streift gewissermaßen ein wichtiges Kapitel der Malereigeschichte und gleicht die Resultate seines Streifzugs subtil mit der zeitgenössischen Mentalität ab. Von der Tradition bleibt dabei oft nicht mehr übrig als ein gestreifter Strohhalm oder ein Reißverschluss. Malen als metaphysischen Akt zu deklarieren, wie Barnett Newmann es tat, ist ebensowenig mit der zeitgenössischen Situation von Kunst in Einklang zu bringen wie an das Betrachten von Bildern die aufklärerische Hoffnung auf Freiheitserlebnis oder Selbstwahrnehmung zu knüpfen. In dem Aufsatz „The Sublime is Now!“ (Das Erhabene jetzt!) aus dem Jahre 1948 proklamierte Newman eine originäre, autonome Kunst, die ohne Rückgriff auf die zivilisierte Tradition auskommt. Mit der Erhabenheit der Bilderscheinung verband Newman ein Überwältigungserlebnis in der konkreten Situation der Bildbetrachtung.8 Die Auseinandersetzung mit dem Erhabenen findet sich bei Cornelius Völker ins Postmoderne gewendet. Ist die Idee eines originären Neubeginns in der Kunst nach 1945 vor dem Hintergrund des Erlebnisses einer Stunde Null verständlich, muss Originarität in einer historischen Situation obsolet erscheinen, die die ganze Last der Tradition schon immer hinter sich weiß. Tatsächlich erfuhr das auf die Spätantike zurückgehende Erhabene als Kategorie „zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn“ in der Postmoderne eine eindrucksvolle Renaissance.9 Als nicht eindeutig zu definierender Begriff meint es das Großartige, das „Übergewöhnliche“, etwas, das Staunen erregt, und mehr ist, als das nur Gefällige. Einer der wichtigsten Ansätze, das Erhabene am Ende des 20. Jahrhunderts neu zu formulieren, geht auf Jean-François Lyotard zurück. Dem Erhabenen als dem Nichtdarstellbaren gestand er eine extrem wichtige Position im (medienbesessenen) Denken des 21. Jahrhunderts zu.10

Im Hinblick auf Cornelius Völker meint das Erhabene nicht nur das erhabene Format, sondern als eigenwillige Anspielung auf das Erhabene geben sich auch viele Stellen in den Gemälden zu erkennen, an denen sich die Malerei verslbständigt, wo sie sich selbst vorführt, sich weit vom Dargestellten entfernt, und ein Spiel mit dem Gegenstand beginnt: Es sind die gerakelten Röcke, die über den Kopf gezogene Pullover und die weißen gerippten Baumwollunterhemden und –hosen. Präsentiert werden jeweils stoffliche Texturen, die plastische Vorgänge wie Dehnen, Ziehen, Spannen in malerische Virtuosität überführen. Daneben enthalten manche Bilder inmitten der figurativen Motive einfarbige Flächen in Dimensionen, die manches monochrome Bild mit Leichtigkeit übertrumpfen. Das wie mit einem Zoom herangeholte Motiv des Gemäldes „Handtaschetragen“ (2000) zeigt auf einem Format von 260 cm x 200 cm eine mit schwarzem Rock und weißer Bluse bekleidete Frau, die eine relativ große, in kräftigem Rot gehaltene Umhängetasche trägt. Die mit einem 7 Dass die Auswahl der nachzuahmenden Vorbilder bereits eine Kunst sei, geht auf die Imitatio-Lehre der antiken Rhetorik, etwa auf Quintilian, zurück. 8 Vgl. Max Imdahl, Barnett Newman. Who’s afraid of Red, Yellow and Blue ? III, Stuttgart 1971 9 Vgl. Christine Pries (Hg.), Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989; vgl. auch Mike Kelleys Beschäftigung mit dem Erhabenen in der Arbeit The Sublime, 1984 10 „Die Frage nach dem Undarstellbaren [...] ist in meinen Augen [...] die einzige, die im kommenden Jahrhundert den Einsatz von Leben und Denken lohnt. “ Jean-François Lyotard, zitiert nach: Pries 1989 (wie Anm. 9), S. 1. Riemen über der Schulter getragene Tasche ist bei genauerem Hinsehen ein seltsam flaches Gebilde, dessen quadratisches Format selbst die Funktion als Behältnis für einen Laptop unwahrscheinlich macht. Tatsächlich ist in das Bild nichts anderes als eine rote monochrome Fläche von immerhin 120 x 120 cm eingefügt. Es entsteht der Eindruck, dass dieses Rot nur noch pro forma als Tasche fungiert, und das alleine aus dem Grund, weil an dieser Stelle im Bild ein ebensolcher Gegenstand – und kein rotes Monochrom – erwartet wird.

Völkers Auseinandersetzung mit der geometrischen Abstraktion führt ihn dazu, abstrakte Passagen in einen figurativen Zusammenhang einzubauen und sie denselben Ritualen der ostentativen Präsentation wie den dargestellten gegenständlichen Motiven zu unterziehen. Die dabei angewandten Strategien des Vorführens und Demonstrierens sind letztlich auf das Malerische selbst bezogen. Das erinnert in gewisser Hinsicht an Gerhard Richters Deklinationen, ohne dass dessen Konzept einer Exploration der Malereigeschichte nur ansatzweise wiederholt würde. Bei Völker mündet der Präsentationsgestus vielmehr in eine selbstreflexive Haltung der Malerei, die beinahe vollständig in den dargestellten Motiven aufgeht. Dies zeigt sich zum Beispiel in den verschiedenen Bild-im-Bild-Formulierungen, wie sie etwa in den Handtaschenbildern oder in der „Beine“-Serie mit den auf kleine kleine Querformate reduzierten Miniröcken zum Ausdruck kommen, wobei die Beine wie die Stützen einer Staffelei wirken. Völkers Malerei besteht zudem aus Motiven, denen man die Nähe zu Werbung, Mode, Kinofilm, Design ansieht. Effektvoll ist die nahezu plakative Wirkung der Bilder herausgearbeitet. Mit einer künstlichen und oftmals agressiv anmutenden Farbigkeit produziert Völker eine Malerei, die kräftig genug ist, den bunten Medienbilderwelten standzuhalten und das, ohne mit schierer Überwältigungsrhetorik zu prunken. Bewußt wird eine Banalität der Motive gegen eine virtuose Malerei gesetzt, so dass die Plakativität der Bilder nur wie eine andere Version des „Übergewöhnlichen“ oder einer „Staunen erregenden Macht“ wirkt.

In einigen neueren Gemälden klingt indes so etwas wie ein Abgesang auf die Farbfeldmalerei des 20. Jahrhunderts an, ein Abgesang auf einen ehemals radikalen Ansatz, der die Kunst vom Zwang zur Repräsentation und vom Illusionistischen befreien wollte. Frappierend zeigt sich das an zwei Arbeiten, die, gemessen an Völkers üblicher koloristischer Verführungskraft, seltsam blass und gedämpft wirken. Da ist zum einen das Bild „Schleife“ aus dem Jahr 2002. Auf einer Fläche von 180 x 200 cm spannt sich eine kunstvoll gebundene Schleife in leuchtendem Blau vor einem altrosafarbenem Hintergrund, der die gesamte Bildfläche ausfüllt. Ein monochromes Bild, oder ein Geschenk? Als Bild ist es der Gegenstand, den es bezeichnet, und erinnert damit an die Schokoladentafeln. Was hier hübsch als Geschenk verpackt dargeboten wird, ist das ermattete monochrome Bild, das mit einer gegenständlichen Signatur, der Schleife, versehen ist.11 Auch die Reihe der Handtuch-Bilder, ebenfalls aus dem Jahr 2002, ist durch eine reduzierte Farbigkeit gekennzeichnet, die hier dem dargestellten banalen Motiv aber tatsächlich zukommt. Wiederum nutzt Völker einen Alltagsgegenstand als Ready-made, diesmal ein Ready-made geometrisch-abstrakter Malerei. Hatte Sigmar Polke einst echte Geschirrhandtücher auf Leinwand aufgespannt und zu abstrakten Kompositionen verarbeitet, hängen die Tücher bei Völker vor hellem Hintergrund schlapp herab, schlagen Falten, sinken zusammen, als solle damit die abstrakte Farbfeldmalerei endgültig an den (im Bild indes nicht dargestellten) Nagel gehängt werden. Die Handtücher spielen aber auch auf ein viel entfernteres Kapitel der Kunstgeschichte an: Als man in der Renaissance dazu überging nicht mehr nur Holz als Bildträger zu verwenden und anfing Leinwände zu benutzen, wurde dieses neue Fach als „Tüchleinmalerei“ bezeichnet. Die auf der aufgespannten Leinwand gemalten müde hängenden Tücher bezeichnen erneut ein Bild-im- Bild-Verhältnis ganz besonderer Art. Und letztlich machen Völkers Handtücher wieder einmal klar, dass auf einer materiellen Ebene, ein Bild nichts anderes ist, als ein mit Farbe bedecktes Stück Stoff.


Touching the sublime. Historical points of reference in Cornelius Völker's paintings.

> Deutsche Version

von Doris Krystof
aus: Cornelius Völker - Malerei, Schirmer/Mosel-Verlag, Munich, 2004

"You can't control the way art history extends into the present. "1

It's easy for Jeff Wall, artist and a doctor of art history, to talk. His large-format photographs, at first sight often reminiscent of snapshots, only reveal their ingeniously arranged references to art tradition upon c10ser examination - and with the requisite background knowledge. It may be that Jeff Wall doesn't always consciously select these references and integrate them in his pictures; he may weil have absorbed the stock of historical art motifs from the early modern age onwards, exploiting them intuitively in the composition of his pictures. At any rate, the history of art represents an important source of inspiration for his photographs presented in light boxes since 1978. To be precise, his resorting to exquisite models counterpoints sharply with the forms of image presentation derived from advertising. Jeff Wall's pictures gain a large part of their impact from the contrast between High and Low.

A critical and considered recourse to history, the productive treatment of the past, has always been a central feature of art. And this applies particularly to so-called Postmodernism and all the more so to Postmodern ist painting. For instance, Martin Kippenberger declared in an interview: "In painting you have to see what's left of the windfalls to paint" 2. And by "windfalls" he meant the few motifs not yet exhausted in the history of painting - such as eggs or fried eggs that the ironic Kippenberger has consequently depicted at length in his works. The deliberate search for motifs a la Kippenberger, on the one hand, and the supposedly intuitive quoting of historical models by someone like Wall, on the other - both approaches express the knowledge of the impossibility of originality, innovation and singularity. The American painter John Currin, successful creator of paintings operating precariously on the borderline with kitsch, has recently spoken of the unavoidable burden of tradition. Each brushstroke you make, Currin claims, weighs so heavily with referentiality, and the trick is to let all these references through without bothering about them. In Currin's case, this attitude has given rise to a style that occasionally follows on seamlessly from the drawings of the Renaissance and Mannerism and frequently culminates in a style that is not far removed from the Helga pictures of the American kitsch artist Andrew Wyeth. 15 the artist - to return again to the opening quote by Jeff Wall - really unable to control the way art history extends into the present? When looking at pictures, it is indeed possible to detect different strategies of reference to art history and, by looking at and describing them and the underlying intention, one grasps an important aspect of art production. Because painting is impossible without the history of painting and it cannot survive without reflecting on the conditions affecting the medium. As far as Cornelius Völker is concerned, his virtuosic and expressive brushwork may at first sight conceal the fact that his painting is indeed the result of a thoroughly considered and reflective attitude. Exceptionally weil grounded in art history, Völker repeatedly resorts to different aspects of tradition without elevating them to the strategy of his work. Völker's recourse to the history of painting is highly 13 individualistic.

As one example of many, one can mention the Straw pictures, paintings of two or three red-and-white striped drinking straws laid in various arrangements on a neutral, monochromatic surface. üf course, these refer to a whole genealogy of stripe pictures, merely by painting an object that can be regarded, so to speak, as a readymade of stripe painting. With respect to the stripe paintings of the American artist Frank Stella, Carl Andre once said: "Frank Stella's painting is not symbolic. His stripes are paths of brush on the canvas. These paths lead solely to painting. "3 Applied to Cornelius Völker, one could say that although the stripes lead from painting - towards everyday objects viewed with the painter's eye - they are nevertheless an exquisite demonstration of painting itself. This fundamental feature of equivalence between representation and the represented, of painting and the motif, reveals itself in Cornelius Völker's works as far back as the early Nineties. Starting with the motif of creamy gateaux, it extends from fleshy bodies spilling out of white underwear in his series Fine Rib to slices of bread spread with curd and the most recent Ash pictures.

Cornelius Völker's broad scope of historical interest covers painting methods of all epochs. He resorts to motif models of the 19th century, such as Millet's The Gleaners, in which the protagonists at the beginning of realistic painting - peasants engaged in honest labour - are converted in Völker's works into "Tall Ladies" bending over coquettishly in impudently short miniskirts. Another recourse to 19th century painting appears to remain c10ser to the original. Manet's depiction of the dancer Lola de Valence provides the model for numerous Ballerina figures. The latter, however, go weil beyond mere graceful ornamentation and occasionally suggest physical violence and physical deformation beneath the surface.4 Iconographically, numerous other points of contact with the history of painting can be found in Völker's works, often revealing a pronounced leaning towards the grotesque or absurd. The extensive series of Legs of 1997, for instance, contains an allusion to Rembrandt's picture of the bathing Hendrickje - depicted is the artist's wife standing with her lifted dress, knee-deep in the water, the pallor and fleshiness of her legs standing out in the skilfully managed light. Many other groups of motifs in Völker's works refer back to the untiringly formulated theme of bathing by such artistic greats as cezanne, Matisse, Picasso and others in the 20th century. The luxury, tranquillity and lust - the title of a famous picture by Matisse - of the c1assic motif of Modern Art, are turned by Völker into liquefaction and forlornness: for instance, in his early Swimmer pictures or in the rather small-format pictures of figures Iying stretched out on coloured towels. A weary reaction to the bathers' theme is also expressed in his extensively treated Bathing Shoes series (1997), which satirically recalls Vincent van Gogh's picture of wo rn-out shoes and its existentialistic interpretation by Martin Heidegger, with the small-format paintings using the example of the multi-coloured plastic shoes to present the viewer with a varied pallet of brightly coloured painting.

Another focus of Völker's allusions to art history can be found in the post-war era. Painting became extremely important in many respects in about 1950. In connection with the world's new political order, in the course of the consolidation of the Western and Eastern Blocs, painting became strongly charged with ideology. The decision in favour of abstraction or figurative representation evolved - from the Western point of view - into a yardstick of freedom and unfreedom. American Abstract Expressionists such as Barnett Newman, Mark Rothko, Jackson Pollock and others confidently formulated their approach as a departure from the European tradition. Cornelius Völker refers in many respects to that "heroic" era of painting. In complete disregard for the politicallabels, he refers back to various milestones in painting of those years and quotes, paraphrases or parodies them in his pictures. In general, Völker's painting is quite obviously areaction to the Modernist culture of superficiality that was alive in the post-war era and subsequently in Pop Art and that placed the fine arts in a broader framework attributable to the rise of mass society. In 14 view of Völker's preference for thick paints, one can also speak of an elaborated presentation of surfaces, accompanied by a marked trend towards large formats. Many of his pictures, which can easily achieve a height of three metres or more, do indeed have wall-filling dimensions, a fact which is confidently paraded again and again.5 In the Fifties, such easeltranscending formats presenting abstract expanses of colour were an expression of the noble, the sublime, as Barnett Newman called it, and the large-format picture was also declared to be a truly American invention that had developed out of the wall painting programme promoted by the US government in the Thirties. Völker takes up the aspect of sublime grandeur in a certain sense, but embeds it in a figurative visual language. The representational motifs of his pictures, the frequent rendition of details of the depicted object and the extreme c1ose-ups shift the pictures, however, towards large canvas formats and thus into the proximity of the cinema picture whose historical predecessors can be found in the 19th century large-format paintings of historic scenes.

In other works, Cornelius Völker embraces Pollock's dripping technique and Tachism and thus a chapter of art history that elevated chance to the status of an artistic principle. In the extensive Swimmer series showing tiny figures in poisonously colourful waves, the moving surface of the water was produced by tipping and turning the canvas covered with liquid paint.6 The fact that a motif can be identical to its form of depiction and yet be something entirely other than the illustrated object was demonstrated by Jasper Johns with his picture of the Stars & Stripes back in the Fifties. In the early Nineties, Cornelius Völker painted large, landscape-format pictures of chocolate bars. Like Johns' Flag in its time, the motif consisting of aserial arrangement of identical fields fills the entire canvas and thus recalls the "shaped canvas" method also practised by Johns and other American artists. However, Völker only skims these historical points of reference, treating them ironically with such a banal subject as chocolate. The inflation of the object to the size of a full canvas and the modular and serial arrangement of the individual portions of chocolate also breaks in a subtle way with grid sequences and trueness to scale, i.e. with the laws of Minimal Art and their emphasis on elementary structures. Sheer size in Völker's works is not a sign of dignity and seriousness - on the contrary. A 1997 picture from the Legs se ries can be interpreted as an ironic allusion to the sublime. What we see is the threemetre tall figure of a woman up to her shoulders, who, dressed in black stockings, a short skirt and zip-fastened cardigan, stands facing the viewer. As a direct allusion to Barnett Newman's famous picture Who's Afraid of Red, Blue and Yellow?, the striped knitted cardigan is indeed red, yellow and blue, which suggests regarding the cardigan's zip as a reference to the vertical line that opens or divides the surface in Newman's work.

Völker's subtle reference to Barnett Newman seems disrespectful, but in fact stems from his sincere admiration for the American artist. It is neither a parody or pastiche, nor an intention to appropriate or merely imitate an outstanding model. Völker in fact refers to Newman in the sense of "preoccupation with nothing but the best models"7 and transforms them into his own universe of colours and forms. In a certain sense, he touches on an important chapter in the history of painting and compares the results of his forays subtly with the contemporary standpoint. Wh at remains of tradition is often no more than a striped drinking straw or a zip fastener. To declare painting to be a metaphysical act, as Barnett Newman did, is just as incompatible with the contemporary situation of art as expecting the viewing of pictures to fulfil the educational aspiration of freedom or self-perception. In his essay "The Sublime is Now!" dating from 1948, Newman proclaimed an original, autonomous art that existed without recourse to the traditions of civilization. In the specific situation of viewing a picture, Newman associated the sublimity of the picture's appearance with an overpowering experience8 In the works of Cornelius Völker, the preoccupation with the sublime finds itself shifted into Postmodernism. While the idea of an original "back to basics" in art 15 it is the object that it denotes and is thus reminiscent of the chocolate bars. What is presented here, attractively wrapped as a present, is the matt monochrome picture adorned with a figurative signature, the ribbon. And the series of Towel pictures, also from 2002, is marked by the toneddown colouration, which in this case suits the commonplace motif. Again Völker uses an everyday object as a readymade, in this case a readymade of geometric abstract painting. Sigmar Polke once spread real drying-up cloths on his canvas and produced abstract compositions with them; Völker's towels, however, hang limply against a bright background, slumping together in folds as if abstract colour field painting has literally come to the end of the (washing) line. The towels also refer to a much more distant chapter in art history. When wood was abandoned in favour of canvas as the substrate for painting in the Renaissance, this new discipline was known as "cloth painting". The limp towels painted on the taut canvas again designate a picture-ina-picture relationship of a special kind. And, finally, Völker's towels make it obvious that on the material level a picture is nothing other that a piece of cloth coated with paint.