Das Erhabene streifen. Historische Bezugspunkte der Malerei von Cornelius Völker
> English Versionvon Doris Krystof
aus: Cornelius Völker - Malerei, Schirmer/Mosel-Verlag, München, 2004
„Wie die kunsthistorische Vergangenheit in die Gegenwart hineinreicht, kann man nicht kontrollieren.“1
Jeff Wall, Künstler und promovierter Kunsthistoriker, hat gut reden: Seine großformatigen Fotografien, die häufig auf den ersten Blick wie Schnappschüsse wirken, enthüllen erst bei genauerer Betrachtung - und bei entsprechendem Hintergrundwissen - die in ihnen kunstvoll arrangierten Bezüge zur kunsthistorischen Tradition. Mag sein, dass Jeff Wall jeweilige Referenzen im einzelnen nicht kontrolliert abruft und in seine Bilder einbaut, sondern dass er den kunsthistorischen Motivvorrat ab der frühen Neuzeit verinnerlicht hat und bei der Komposition seiner Bilder intuitiv darüber verfügt. Jedenfalls stellt die Kunstgeschichte einen wichtigen Bezugspunkt für die seit 1978 in Leuchtkästen präsentierten Fotografien dar. Genau genommen, bildet der Rückgriff auf erlesene Vorbilder einen wichtigen Kontrapunkt zu den aus der Werbung entlehnten Bildträgern, denn Jeff Walls Bilder beziehen aus dem Kontrast von High und Low einen Großteil ihrer Wirkung.
Ein kritisch-reflektierter Rückbezug auf die Geschichte, ein produktiver Umgang mit der Vergangenheit, ist schon immer ein zentraler Bestandteil der Kunst gewesen. Auf besondere Weise gilt das für die so genannte Postmoderne und da insbesondere für die Malerei. Martin Kippenberger etwa erklärte in einem Interview: „In der Malerei musst du gucken, was ist noch übrig an Fallobst, das du malen kannst“2. Und mit Fallobst meinte er die wenigen in der Malereigeschichte noch nicht ausgereizten Motive - wie etwa Eier oder Spiegeleier, die der Ironiker Kippenberger folgerichtig ausgiebig in seinem Werk zur Darstellung brachte. Kalkulierte Motivrecherche wie bei Kippenberger einerseits, angeblich unkontrolliertes Zitieren der Kunstgeschichte wie bei Wall andererseits - deutlich kommt in beiden Fällen das Wissen um die Unmöglichkeit von Originalität, Innovation und Singularität zum Ausdruck. Von der unvermeidlichen Last der Tradition sprach jüngst auch der amerikanische Maler John Currin, erfolgreicher Verfasser von haarscharf an der Grenze zum Kitsch operierenden Gemälden. An jedem Strich, den man mache, so Currin, hänge viel Gewicht von 1Jeff Wall im Interview mit Holger Liebs, in: Süddeutsche Zeitung, 24./25. Mai 2003 2 In: Martin Kippenberger, Picasso vollenden. Gespräch mit Daniel Baumann. In: Kippenberger leicht gemacht. Ausst.-Kat. Genf 1997, S. 28 Bezüglichkeit, und der Trick bestünde darin, alle diese Bezüge passieren zu lassen, ohne sich darum zu kümmern. Bei Currin bringt diese Haltung einen Stil hervor, der bisweilen nahtlos an Zeichnungen der Renaissance und des Manierismus anschließt, um häufig bei einem Look zu landen, der nicht weit von den Helga-Bildern des amerikanischen Kitschiers Andrew Wyeth entfernt ist. Kann man als Künstler - um noch einmal auf das Eingangszitat von Jeff Wall zurück zu kommen - tatsächlich nicht kontrollieren, wie die kunsthistorische Vergangenheit in die Gegenwart hinein reicht? Beim Betrachten von Bildern lassen sich durchaus unterschiedliche Strategien der Bezugnahme auf Kunstgeschichte erkennen, und indem man diese und die dahinter stehende Intention ansieht und beschreibt, erfasst man einen wichtigen Aspekt künstlerischer Produktion. Denn Malerei ist ohne Malereigeschichte nicht möglich, und sie kommt nicht aus, ohne die Bedingungen des Mediums zu reflektieren.
Was Cornelius Völker betrifft, mag sein virtuoser und expressiver Pinselduktus auf den ersten Blick darüber hinweg täuschen, dass diese Malerei einer durchaus bedächtigen, reflektierten Haltung entspringt. In der Kunstgeschichte ausnehmend gut instruiert, greift Völker immer wieder auf unterschiedliche Aspekte der Tradition zurück, ohne dies jedoch zum Konzept seiner Malerei zu erheben. Völkers Rückbezug auf die Malereigeschichte ist eigenwillig. Als ein Beispiel unter vielen seien die Strohhalm-Bilder genannt, Gemälde von zwei oder drei rotweiß gestreiften Trinkhalmen, die in unterschiedlichen Konstellationen auf eine neutral gehaltene monochrome Fläche gesetzt sind. Natürlich wird hier eine ganze Ahnenreihe von Streifenbildern zitiert, und das allein durch die malerische Darstellung eines Gegenstandes, der gewissermaßen als ein Ready-made der Streifenmalerei angesehen werden kann. Hinsichtlich der Streifenmalerei des amerikanischen Künstlers Frank Stella hatte Carl Andre einst gesagt, „Frank Stellas Malerei ist nicht symbolisch. Seine Streifen sind die Wege des Pinsels auf der Leinwand. Diese Wege führen allein in die Malerei.“3 Auf Cornelius Völker umgemünzt, könnte man sagen, dass bei ihm die Streifen zwar aus der Malerei hinausführen - in Richtung malerisch zu sehender Dinge der Alltagswelt, aber dass sie dennoch ganz und gar delikate Malerei vorführen. Dieser grundlegende Zug einer Äquivalenz von Darstellung und Dargestelltem, von Malerei und Motiv, zeigt sich bei Corneius Völker schon in den frühen 90er Jahren. Beginnend mit dem Motiv cremiger Torten reicht es über die Darstellung von fleischigen, aus weißer Unterwäsche hervorquellenden Körpern in der Serie „Feinripp“ zu den mit Quark bestrichenen Broten und den Aschebildern aus jüngster Zeit.
Cornelius Völkers weit gespanntes historisches Interesse gilt malerischen Verfahren aller Epochen. Er greift auf motivische Vorbilder des 19. Jahrhunderts zurück, so etwa auf Millets Ährenleserinnen, wobei die Protagonistinnen des Beginns realistischer Malerei, redlicher Arbeit nachgehende Bäuerinnen bei Völker in kokett sich mit unverschämt kurzen Miniröcken bückende „Große Damen“ verwandelt werden. Ein anderer Rückgriff auf die Malerei des 19. Jahrhundert bleibt scheinbar näher am Ausgangsmotiv. Manets Darstellung der Tänzerin Lola de Valence gibt das Vorbild ab für zahlreiche Ballerina-Figuren, die aber weit über ein nur zierlich-hübsches Motiv hinausgehen und bisweilen unterschwellig physische Gewalt und psychische Deformation erkennen lassen.4 Ikonografisch lassen sich bei Völker etliche weitere Anknüpfungspunkte der Auseinandersetzung mit der Malereigeschichte präzisieren, und oftmals zeigt sich daran ein ausgeprägter Hang zum Grotesken oder Absurden. So enthält die umfangreiche Serie „Beine“ aus dem Jahr 1997 eine Anspielung auf Rembrandts Bild der badenden Hendrickje – dargestellt ist die Ehefrau des Künstlers, die mit hochgehobenem Kleid knietief im Wasser steht, wobei Blässe und Fleischlichkeit der Beine durch eine kunstvolle Lichtdramaturgie hervorstechen. Auch viele andere Motivgruppen bei Völker knüpfen an das im 20. Jahrhundert von malerischen Größen wie Cézanne, Matisse, Picasso und anderen unermüdlich formulierte Thema der Badenden an. Luxus, Ruhe und Wollust – so der Titel eines berühmten Bildes von Matisse - des klassischen Motivs der Moderne wendet Völker allerdings in Verflüssigung und Verlorenheit. Etwa in den frühen Schwimmer-Bildern oder in den eher kleinformatigen Darstellungen von Figuren, die ausgestreckt auf bunten Badehandtüchern liegen. Ein müder Reflex der Badenden-Thematik kommt außerdem in der extensiv bearbeiteten Badeschlappen-Serie (1997) zum Ausdruck. Satirisch wird dabei zum einen Vincent Van Goghs Bild der ausgetretenen Schuhe und dessen existenzialistische Deutung durch Martin Heidegger wachgerufen, zum anderen stellen die kleinformatigen Gemälde am Beispiel der bunten Plastikschuhe eine vielfältige Palette grellfarbiger Malerei vor Augen.
Ein weiterer Schwerpunkt von Völkers Anspielungen auf die Kunstgeschichte bezieht sich auf die Nachkriegszeit. Um 1950 kam der Malerei in vielerelei Hinsicht eine extrem wichtige Bedeutung zu. Im Zusammenhang der politischen Neuordnung der Welt, im Zuge der Konsolidierung von West- und Ostblock erfuhr die Malerei eine eminent ideologische Aufladung. Die Entscheidung für Abstraktion oder Gegendständlichkeit avancierte – aus 3 Carl Andre, Zu den ‚Streifenbildern‘ von Frank Stella, in: Sixteens Americans, Kat. The Museum of Modern Art, New York 1959, S. 76, dt. in: Frank Stella. Werke 1958-1976, Kat. Kunsthalle Bielefeld 1977, S. 111 4 Vgl die eindringliche Beschreibung von Stefan Lausch, in Cornelius Völker. Katalog Freiburg, 2000 westlicher Sicht - zum Gradmesser von Freiheit oder Unfreiheit. Amerikanische Künstler des Abstrakten Expressionismus, Barnett Newman, Mark Rothko, Jackson Pollock und andere, entwickelten selbstbewußt ihren Ansatz in Abgrenzung zur europäischen Tradition. Cornelius Völker bezieht sich in mehrfacher Hinsicht auf jene ´heroische´ Epoche der Malerei. Ohne Ansehen der ehemaligen politischen Vereinnahmungen greift er auf diverse malerische Errungenschaften jener Jahre zurück und zitiert, paraphrasiert oder parodiert diese in seinen Bildern. Generell ist Völkers Malerei ganz offensichtlich ein Reflex auf jene modernistische Kultur der Oberfläche, die in der Nachkriegszeit und anschließend in der Pop Art wirksam war, und die die bildende Kunst in einen breiteren, der aufkommenden massengeschellschaftlichen Entwicklung geschuldeten Rahmen stellte. Von einer elaborierten Inszenierung der Oberflächen läßt sich auch angesichts von Völkers pastoser Malerei sprechen, die außerdem von einem ausgeprägten Hang zum Großformat gekennzeichnet ist. Viele seiner Bilder, die leicht eine Höhe von drei Metern oder mehr erreichen, haben tatsächlich wandfüllende Dimensionen und stellen dies auch immer wieder selbstbewußt zur Schau.5 Solche jegliche Staffeleimalerei sprengenden Formate von abstrakten Farbflächen waren in den 50er Jahren Ausdruck des Erhabenen, des Sublimen, wie es bei Barnett Newman heißt, und das großformatige Bild wurde zudem als genuin amerikanische Erfindung deklariert, die sich aus dem in den 30er Jahren von der U.S.-Regierung geförderten Wandmalereiprogramm entwickelt hatte. Völker greift den Aspekt erhabener Größe in gewisser Hinsicht auf, bettet sie aber in eine figurative Bildsprache ein. Die gegenständlichen Motive seiner Bilder, die häufig auschnitthafte Wiedergabe des Dargestellten und die meist extreme Nahsicht treiben die Bilder jedoch vielmehr in Richtung Breitleinwandformat und damit in die Nähe des Kinobildes, dessen historische Vorgänger in den großformatigen Historiengemälde des 19. Jahrhunderts liegen.
An anderer Stelle schließt Cornelius Völker an Pollocks Drippingverfahren beziehungsweise an den Tachismus an, und damit an Kapitel der Kunstgeschichte, die den Zufall zum künstlerischen Prinzip erhoben: Bei der umfangreichen Serie der Schwimmer, die kleine Figuren in giftig bunten Fluten treibend zeigt, entstand die bewegte Wasseroberfläche aus unkontrollierten Farbverläufen, die durch Kippen und Drehen der Leinwand erzeugt werden.6 5 Vgl. dazu die Fotografien von Ateliersituationen, die den meisten Katalogen von Cornelius Völker beigegeben sind, und die häufig den Größensprung herausstellen, so etwa, wenn die Bilder der „Großen Damen“ zum Trocknen im Hinterhof des ersten Ateliers in der Suitbertusstraße in Düsseldorf an einem Flachdachgebäude lehnen und dieses leicht überragen, oder wenn der Künstler sich im Atelier auf einem Fahrrad vor seinen Bildern ablichten lässt, was zwar eine ironoische Anspielung auf das zu kleine, erste Atelier ist, aber dennoch das große Format der Bilder betont. 6 Vgl. Hans-Jürgen Lechtreck, Fest und flüssig, in: Cornelius Vöker, Kat. Düsseldorf und Greven, 1997, S. 55-56 Dass ein Motiv identisch sein kann mit der Form seiner Darstellung und dennoch etwas ganz anderes ist, als der abgebildete Gegenstand, hat Jasper Johns Mitte der 50er Jahre mit dem Bild der amerikanischen Flagge vorgeführt. Cornelius Völker malte in den frühen 90er Jahren große, querformatige Bilder von Schokoladetafeln. Wie einst Johns‘ „Flag“ füllt das Motiv, das aus der seriellen Aneinanderreihung gleicher Felder besteht, den gesamten Bildträger aus und erinnert damit an das ebenfalls von Johns und anderen amerikanischen Künstlern praktizierte „shaped canvas“ - Verfahren. Die historischen Bezugspunkte werden bei Völker jedoch gewissermaßen nur noch gestreift und durch ein so banales Motiv wie Schokolade geradezu ironisiert. Die Vergrößerung des Gegenstandes auf das Format eines veritablen Leinwandbildes sowie die modulhafte und serielle Aneinanderreihung der einzelnen Schokoladenplatten brechen zudem hintergründig mit Maßstabsgerechtigkeit und Rastersequenzen, mit Gesetzen der Minimal Art also und deren Betonung von elementaren Strukturen. Schiere Größe ist bei Völker kein Zeichen für Würde und Ernsthaftigkeit, im Gegenteil. Als ironisches Aperçu auf Erhabenheit lässt sich ein 1997 entstandenes Bild aus der Serie „Beine“ verstehen: Dargestellt ist auf einer Höhe von drei Metern die Figur einer bis zu den Schultern zu sehenden Frau, die, bekleidet mit schwarzen Strümpfen, kurzem Rock und Reißverschlusspullover frontal zum Betrachter steht. In direkter Anspielung auf Barnett Newmans berühmtes Bild „Who’s Afraid of Red, Blue and Yellow?“ ist die gestreifte Strickjacke in Rot, Blau und Gelb gehalten, was die Idee nahelegt, im Reißverschluss des Pullovers einen Verweis auf jene „Zips“ zu sehen, die bei Newman die Bildfläche als senkrechte Linie öffnen oder teilen.
Völkers hintergründige Bezugnahme auf Barnett Newman scheint despektierlich, entspringt aber einer großen Hochachtung für den amerikanischen Künstler. Es geht weder um Parodie oder Persiflage, noch um ein appropriatives Interesse oder gar um bloßes Nacheifern eines großen Vorbilds. Völker bezieht sich auf Newman vielmehr im Sinne einer „Auseinandersetzung nur mit den besten Vorbildern“7 und transformiert diese in sein eigenes Universum der Farben und Figuren. Er streift gewissermaßen ein wichtiges Kapitel der Malereigeschichte und gleicht die Resultate seines Streifzugs subtil mit der zeitgenössischen Mentalität ab. Von der Tradition bleibt dabei oft nicht mehr übrig als ein gestreifter Strohhalm oder ein Reißverschluss. Malen als metaphysischen Akt zu deklarieren, wie Barnett Newmann es tat, ist ebensowenig mit der zeitgenössischen Situation von Kunst in Einklang zu bringen wie an das Betrachten von Bildern die aufklärerische Hoffnung auf Freiheitserlebnis oder Selbstwahrnehmung zu knüpfen. In dem Aufsatz „The Sublime is Now!“ (Das Erhabene jetzt!) aus dem Jahre 1948 proklamierte Newman eine originäre, autonome Kunst, die ohne Rückgriff auf die zivilisierte Tradition auskommt. Mit der Erhabenheit der Bilderscheinung verband Newman ein Überwältigungserlebnis in der konkreten Situation der Bildbetrachtung.8 Die Auseinandersetzung mit dem Erhabenen findet sich bei Cornelius Völker ins Postmoderne gewendet. Ist die Idee eines originären Neubeginns in der Kunst nach 1945 vor dem Hintergrund des Erlebnisses einer Stunde Null verständlich, muss Originarität in einer historischen Situation obsolet erscheinen, die die ganze Last der Tradition schon immer hinter sich weiß. Tatsächlich erfuhr das auf die Spätantike zurückgehende Erhabene als Kategorie „zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn“ in der Postmoderne eine eindrucksvolle Renaissance.9 Als nicht eindeutig zu definierender Begriff meint es das Großartige, das „Übergewöhnliche“, etwas, das Staunen erregt, und mehr ist, als das nur Gefällige. Einer der wichtigsten Ansätze, das Erhabene am Ende des 20. Jahrhunderts neu zu formulieren, geht auf Jean-François Lyotard zurück. Dem Erhabenen als dem Nichtdarstellbaren gestand er eine extrem wichtige Position im (medienbesessenen) Denken des 21. Jahrhunderts zu.10
Im Hinblick auf Cornelius Völker meint das Erhabene nicht nur das erhabene Format, sondern als eigenwillige Anspielung auf das Erhabene geben sich auch viele Stellen in den Gemälden zu erkennen, an denen sich die Malerei verslbständigt, wo sie sich selbst vorführt, sich weit vom Dargestellten entfernt, und ein Spiel mit dem Gegenstand beginnt: Es sind die gerakelten Röcke, die über den Kopf gezogene Pullover und die weißen gerippten Baumwollunterhemden und –hosen. Präsentiert werden jeweils stoffliche Texturen, die plastische Vorgänge wie Dehnen, Ziehen, Spannen in malerische Virtuosität überführen. Daneben enthalten manche Bilder inmitten der figurativen Motive einfarbige Flächen in Dimensionen, die manches monochrome Bild mit Leichtigkeit übertrumpfen. Das wie mit einem Zoom herangeholte Motiv des Gemäldes „Handtaschetragen“ (2000) zeigt auf einem Format von 260 cm x 200 cm eine mit schwarzem Rock und weißer Bluse bekleidete Frau, die eine relativ große, in kräftigem Rot gehaltene Umhängetasche trägt. Die mit einem 7 Dass die Auswahl der nachzuahmenden Vorbilder bereits eine Kunst sei, geht auf die Imitatio-Lehre der antiken Rhetorik, etwa auf Quintilian, zurück. 8 Vgl. Max Imdahl, Barnett Newman. Who’s afraid of Red, Yellow and Blue ? III, Stuttgart 1971 9 Vgl. Christine Pries (Hg.), Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989; vgl. auch Mike Kelleys Beschäftigung mit dem Erhabenen in der Arbeit The Sublime, 1984 10 „Die Frage nach dem Undarstellbaren [...] ist in meinen Augen [...] die einzige, die im kommenden Jahrhundert den Einsatz von Leben und Denken lohnt. “ Jean-François Lyotard, zitiert nach: Pries 1989 (wie Anm. 9), S. 1. Riemen über der Schulter getragene Tasche ist bei genauerem Hinsehen ein seltsam flaches Gebilde, dessen quadratisches Format selbst die Funktion als Behältnis für einen Laptop unwahrscheinlich macht. Tatsächlich ist in das Bild nichts anderes als eine rote monochrome Fläche von immerhin 120 x 120 cm eingefügt. Es entsteht der Eindruck, dass dieses Rot nur noch pro forma als Tasche fungiert, und das alleine aus dem Grund, weil an dieser Stelle im Bild ein ebensolcher Gegenstand – und kein rotes Monochrom – erwartet wird.
Völkers Auseinandersetzung mit der geometrischen Abstraktion führt ihn dazu, abstrakte Passagen in einen figurativen Zusammenhang einzubauen und sie denselben Ritualen der ostentativen Präsentation wie den dargestellten gegenständlichen Motiven zu unterziehen. Die dabei angewandten Strategien des Vorführens und Demonstrierens sind letztlich auf das Malerische selbst bezogen. Das erinnert in gewisser Hinsicht an Gerhard Richters Deklinationen, ohne dass dessen Konzept einer Exploration der Malereigeschichte nur ansatzweise wiederholt würde. Bei Völker mündet der Präsentationsgestus vielmehr in eine selbstreflexive Haltung der Malerei, die beinahe vollständig in den dargestellten Motiven aufgeht. Dies zeigt sich zum Beispiel in den verschiedenen Bild-im-Bild-Formulierungen, wie sie etwa in den Handtaschenbildern oder in der „Beine“-Serie mit den auf kleine kleine Querformate reduzierten Miniröcken zum Ausdruck kommen, wobei die Beine wie die Stützen einer Staffelei wirken. Völkers Malerei besteht zudem aus Motiven, denen man die Nähe zu Werbung, Mode, Kinofilm, Design ansieht. Effektvoll ist die nahezu plakative Wirkung der Bilder herausgearbeitet. Mit einer künstlichen und oftmals agressiv anmutenden Farbigkeit produziert Völker eine Malerei, die kräftig genug ist, den bunten Medienbilderwelten standzuhalten und das, ohne mit schierer Überwältigungsrhetorik zu prunken. Bewußt wird eine Banalität der Motive gegen eine virtuose Malerei gesetzt, so dass die Plakativität der Bilder nur wie eine andere Version des „Übergewöhnlichen“ oder einer „Staunen erregenden Macht“ wirkt.
In einigen neueren Gemälden klingt indes so etwas wie ein Abgesang auf die Farbfeldmalerei des 20. Jahrhunderts an, ein Abgesang auf einen ehemals radikalen Ansatz, der die Kunst vom Zwang zur Repräsentation und vom Illusionistischen befreien wollte. Frappierend zeigt sich das an zwei Arbeiten, die, gemessen an Völkers üblicher koloristischer Verführungskraft, seltsam blass und gedämpft wirken. Da ist zum einen das Bild „Schleife“ aus dem Jahr 2002. Auf einer Fläche von 180 x 200 cm spannt sich eine kunstvoll gebundene Schleife in leuchtendem Blau vor einem altrosafarbenem Hintergrund, der die gesamte Bildfläche ausfüllt. Ein monochromes Bild, oder ein Geschenk? Als Bild ist es der Gegenstand, den es bezeichnet, und erinnert damit an die Schokoladentafeln. Was hier hübsch als Geschenk verpackt dargeboten wird, ist das ermattete monochrome Bild, das mit einer gegenständlichen Signatur, der Schleife, versehen ist.11 Auch die Reihe der Handtuch-Bilder, ebenfalls aus dem Jahr 2002, ist durch eine reduzierte Farbigkeit gekennzeichnet, die hier dem dargestellten banalen Motiv aber tatsächlich zukommt. Wiederum nutzt Völker einen Alltagsgegenstand als Ready-made, diesmal ein Ready-made geometrisch-abstrakter Malerei. Hatte Sigmar Polke einst echte Geschirrhandtücher auf Leinwand aufgespannt und zu abstrakten Kompositionen verarbeitet, hängen die Tücher bei Völker vor hellem Hintergrund schlapp herab, schlagen Falten, sinken zusammen, als solle damit die abstrakte Farbfeldmalerei endgültig an den (im Bild indes nicht dargestellten) Nagel gehängt werden. Die Handtücher spielen aber auch auf ein viel entfernteres Kapitel der Kunstgeschichte an: Als man in der Renaissance dazu überging nicht mehr nur Holz als Bildträger zu verwenden und anfing Leinwände zu benutzen, wurde dieses neue Fach als „Tüchleinmalerei“ bezeichnet. Die auf der aufgespannten Leinwand gemalten müde hängenden Tücher bezeichnen erneut ein Bild-im- Bild-Verhältnis ganz besonderer Art. Und letztlich machen Völkers Handtücher wieder einmal klar, dass auf einer materiellen Ebene, ein Bild nichts anderes ist, als ein mit Farbe bedecktes Stück Stoff.