Fleisch. Geschichte einer Evidenz. Die Relevanz der Physis im Werk Cornelius Völkers

von Magdalena Kröner
aus: Cornelius Völker Malerei. Werke 1990–2010, München, 2011

„Ich bin für eine Kunst, die glattgekämmt wird, die von den Ohren hängt, die auf die Lippen
und unter den Augen aufgetragen wird, die von den Beinen rasiert wird, die auf die Zähne
gebürstet wird, die an den Schenkeln festgemacht wird, die den Füssen übergestreift wird.“ 1
Was Claes Oldenburg im Jahr 1961 so anschaulich in seinem Manifest „I Am for an Art“
formulierte, mag ebenso für die Malerei von Cornelius Völker gelten. So wie Oldenburgs
skulpturale Umformungen des Alltags direkt in die reale Umgebung eingriffen und diese im
wahrsten Sinne überformten, so überformt auch Cornelius Völkers Malerei die Physis ihrer
Gegenstände. Die Welt, wie wir sie kennen, wird in seinem Werk verdoppelt: dieser Maler
erfindet nichts: er malt, was er um sich herum sieht. Er rückt es in den Fokus in Bildern, die
wie glasiert wirken; von innen erleuchtet. Er stellt Menschen und Dinge aus auf fließend
bunten, psychedelisch leuchtenden Gründen: das Körperhafte eines Butterbrots mit seinem
sich in den Raum wölbenden Aufstrich manifestiert sich dabei in ebensolcher Intensität auf
der Leinwand wie die kleine, kompakte Physis eines Meerschweins oder die Frische einer
Auster mit ihrer krustigen Schale und dem silbrig glatt leuchtenden Inneren. Doch steht die
menschliche Figur im Zentrum dieses über mehr als zwei Dekaden fortentwickelten Werkes:
aus nächster Nähe gesehen oder aus der Ferne, als flüchtiger, beweglicher Schatten oder als
manifeste Gestalt in überlebensgrosser Monumentalität.
Die von ihm bevorzugt verwendeten Farben, im über die Jahre verschärften Kolorit
künstlicher und leuchtender als in den Anfangsjahren, formen diese Körper und nagen
zugleich an ihnen; lösen sie auf, fragmentieren sie. Die Farbe scheint an den häufig frontal
gesehenen Leibern zu haften, sie bildet die Figuren ab und liefert sich ihnen zugleich aus. Die
Farbe verleiht Gestalt, doch schönt sie nicht. Sie bildet ab, aber sie führt sich dabei stets auch
selbst als Malerei vor. Aus dieser Spannung, die nicht versöhnend aufgelöst wird, entsteht die
Eindringlichkeit der vielmals an die Physis von Mensch und Tier gebundenen Motive.
Cornelius Völkers Malerei thematisiert die menschliche Gestalt und ihre Verfasstheiten,
indem sie deren ungeschönte, physische Realitäten vorführt. Da sitzen Kleider schlecht,
schimmern Unterhosen durch, wird jemand beim Ankleiden beobachtet oder beim
resignierten Umherstehen, beim Ausruhen oder auf der Toilette. Jenseits des Konventionellen
konzentriert sich der Maler hier insbesondere auf die nackte Haut, die aus den Kleidern quillt,
und immer wieder, scheinbar unfreiwillig enthüllt wird. „Der Körper wird wie ein Ei
aufgeschlagen und zeigt den Dotter“, formuliert der österreichische Aktionskünstler Otto
Muehl2 seinem künstlerischen Ansatz entsprechend drastisch. Dies mag ebenso auf die
Malerei Cornelius Völkers zutreffen: Muehl beschrieb den Körper als „gedeckten Tisch“, und
auch bei Völker ist es die Fülle der unterschiedlichen Leiber, ihre Haltungen, ihre
unterschiedlichen Aggregatzustände, die den Betrachter einladen, sich der vielgestaltigen
Präsenz des Fleisches auszusetzen. Für die Nebenwirkungen allerdings kann der Maler nur
bedingt haftbar gemacht werden: Betroffenheit, Amüsement, Ärger, gelegentlich sogar
Scham.
Pose und Formverlust: Körper zwischen Konvention und transgressiver Entblößung
Ob „Staubsauger“ (2002), „Pullover“ (2000), „Handtaschen“ (2000) oder „Hände“
(2002/03): in diesen Motiven Völkers fungiert der Körper oftmals als Signifikant innerhalb
gesellschaftlicher Vereinbarungen. Er zeigt sich eingepasst in ein Gerüst aus Normen und Konventionen; das Fleisch zeigt sich, wie er selbst es formuliert, „kontaminiert vom Gesellschaftlichen“. Die Zivilisation schreibt sich der Physis der hier dargestellten Protagonisten unmittelbar ein. So werden in Haltung, Frisur und Kleidung wiedererkennbare,
generische Erscheinungsformen und Praktiken der westlichen Kultur verhandelt: die Frau mit
Handtasche, der Anzugträger mit verschränkten Armen, die Hausfrau mit Staubsauger. In
einer der offenbaren Konventionalität der Motive entgegenlaufenden Bewegung agiert der
flächig gestaltete, lockere und immer wieder aufreißende Duktus des Farbauftrags gegen das
Alltägliche und gelegentlich Banale der Motive und macht sie darin nicht zuletzt in ihrer
Absurdität sichtbar. Das Groteske lauert im Alltäglichen; und dieses ist, aus einer geringfügig
veränderten Perspektive betrachtet, ein Schauspiel, das durch den Blick des Malers in
abstrakte Einheiten aus Farben, Linien und Flächen zersplittert.
Den Gegenpol zu den von konventionellen Posen oder Situationen bestimmten Motiven
bilden von Transgression, Latenz und Passivität dominierte Situationen wie „Kotzende“ oder
Männer auf dem „Klo“ (beide 2008), die in ihrer Intimität klassischerweise ungeeignet für
malerische Repräsentation scheinen, jedoch im Ansatz Völkers sich geradewegs als Motiv
prädestinieren. Völker beobachtet, einigermaßen schonungslos „Liegende“ (1999), die
geradezu in den Boden hineinzuschmelzen scheinen; eine vor sich hinstarrende „Hockende“
(2005), einen ganz von pastoser Farbe eingefassten Mann in der „Wanne“ (2004), oder eine
Frau auf einem Sofa (2005), die sich im Kontrast zu ihrer eleganten Kleidung einigermaßen
unbotmäßig darauf räkelt. In die perfekten, von Kultur, Mode und Verhaltensnormen
bestimmten Posen brechen die defäkierenden, liegenden, hockenden Männer und Frauen ein,
die sich unbeobachtet zeigen, oder genauer: vom Maler so beobachtet bzw. imaginiert
werden.
Doch agieren Konventionalität und Transgresssion innerhalb des Werkes nicht dialektisch,
sondern dialogisch: verhandelt wird hier keine Idee von „Offiziell versus Privat“, noch geht es in Völkers malerischen Untersuchungen um den Kampf von Hülle und Essenz. Wo ein
Maler wie Lucian Freud die menschliche Gestalt geradezu als existentialistisch „geworfen“
begreift und ausstellt, führt sich bei Völker die Malerei stets selbst in ihrer Künstlichkeit vor.
Typologisch zugespitzt, führt der Maler sein Personal in Darstellung, Bekleidung, Haltung
als generische Modelle vor: Frauen, Männer, Haustiere. Es geht dabei in der Ausgestaltung
der häufig eindringlichen Physis denn auch weniger um die Darstellung von Individualität
oder eine differenzierte psychologische Momentaufnahme als um die malerische
Untersuchung generischer Körpermodelle. Völker malt den Prototyp der schönen Frau, des
alternden Mannes und des überzüchteten Haustiers – oftmals in direkten motivischen
Bezügen zur Kunstgeschichte. Dieser Ansatz findet seine formale Entsprechung in der
Malerei: Farbgebung und formale Reduktion und die Unverbundenheit von Figur und
Umraum zeigen sich abstrakt und offensichtlich künstlich, an mimetischer Nachahmung
wenig interessiert. Diese Malerei, so taktil, nachvollziehbar und unmittelbar spontan sie sich
gibt, offenbart sich als genau kalkuliert und reflektiert in jedem Moment ihre Artifizialität.
Selbst wenn Völker eine scheinbar so intime Begegnung wie in seinen „Küssenden“ (2002)
inszeniert, atmet diese die Pose des Hollywoodfilms. Auch der Kuss ist letztlich eine
gesellschaftliche Konvention, darauf verweist das Motiv nicht zuletzt.
Eine besondere Spannung aus Unmittelbarkeit, realistisch anmutender Porentiefe und
abstrakter Formalisierung entsteht in jenen Motiven, in denen Cornelius Völker die
Darstellung von Körperlichkeit so weit begrenzt, dass allein ein auf das Fleisch reduziertes
Fragment übrig bleibt, welches die Darstellung von Körperlichkeit ins Symbolhafte
verschiebt und sie zur Chiffre von Begehren und Verführung gerinnen lässt. Von den
angeschnittenen Torsi vieler Gemäldeserien aus den 90er Jahren, darunter „Beine“,
„Handtaschetragen“ und „Feinripp“ ging Völker über zu eng eingefassten körperlichen
Merkmalen wie den monumentalen „Lippen“ (2005), die sich in Format und Ästhetik auf
Werbeplakate und -anzeigen bezogen. Serien wie „Frisur“ (2005/06) und „Masken“ (2006)
fassen markante Details bzw. kulturelle Praktiken der Pflege und Verschönerung rund um das
Gesicht ein und offenbaren das hohe ästhetische Eigenleben, welches kunstvoll gestecktes
Haar oder das auf das eigentliche gelegte „zweite Gesicht“ einer Gesichtsmaske für die
Malerei bieten. In den jüngsten Serien, darunter die 2005 entstandenen „Bauchnabel“ und die
2010 entstandenen „Brustwarzen“ und „Wunden“ finden kleines Format und
makroskopischer Ausschnitt zueinander und demonstrieren radikaler als die Motive zuvor die
schiere Präsenz des Fleisches. Dabei betrachtet Völker den Körper weniger wie Luc
Tuymans mit einem „diagnostischen Blick“, noch stellt er den Menschen als
„Schlachteplatte“ aus, wie Werner Spies es für das Werk Lucian Freuds beschrieb,3 sondern
er richtet vor allem den Blick des Malers auf die Details der Physis. Er betrachtet eine Wunde
oder eine Brustwarze aus nächster Nähe, bis sie als Motive ins Abstrakte transponiert
werden. Innerhalb dieser malerischen Fokussierung gelingt es, das Dargestellte jenseits
möglicher Zuschreibungen von Attraktion oder Abscheu zu verhandeln.
Hier kommt auch den in einer Reihe von Aquarellen umgesetzten Körpermotiven Cornelius
Völkers eine besondere Relevanz zu, eignet sich doch die amorphe, in die Transparenz sich
auflösende Farbigkeit in besonderem Maße dazu, die Auflösungstendenzen und das
transgressive Potential der Figuren im Bild zu gestalten. Hier korrespondieren der Duktus
und die Art des Umgangs mit Farbe mit einem körperlichen Aggregatzustand: entspannt,
schlaff, kränklich, lasziv. Wie in Völkers stets zwischen Figur und Abstraktion
changierenden Gemälden verläuft auch die Beschäftigung mit dem Aquarell in seinem Werk
entlang einer doppelten Spur. Zum einen bringt die Farbe die Fleischlichkeit der Motive erst hervor, doch löst sie diese gleichzeitig auch wieder auf, treibt sie voran bis zur
Unkenntlichkeit. Das amorphe Verfließen von Farbe als „Charaktereigenschaft“ wird
insbesondere in den Aquarellen nachvollziehbar, die innerhalb des „Männer“-Zyklus
entstandenen. Dabei verschwimmen innerhalb der statisch dargestellten, wie gelähmt
stehenden Männerfiguren mit nacktem Oberkörper alle Details der individuellen Physis, und
lassen die Portraits zu Genrebildern des krisenhaften, unentschiedenen, in seiner Identität
ausgehöhlten Mannes werden.
Die Lakonik des Fleisches
Im Werk Cornelius Völkers fassen die vielfältigen, an den Topos „Fleisch“ gebundenen
Werkgruppen stets das ganze Spektrum möglicher Bedeutungen in sich ein: Körper, Haut
und Berührbarkeit werden einerseits dargestellt als „Bausteine des Glücks“4, andererseits
wird das Fleisch auch verhandelt als „Ort der Verdammnis“5. Zwischen Schmerz,
Langeweile, Unwohlsein, Freude und Lust findet sich in Völkers Tableaus die ganze
Bandbreite des Spektrums menschlicher Empfindungen. Die auf die Physis konzentrierten,
einigermaßen schonungslosen Beobachtungen scheinen ganz dem zu entsprechen, was der
französische Phänomenologe Michel Henry in seiner Philosophie des Fleisches formuliert:
„Denn unser Fleisch ist nichts anderes, als daß es sich dadurch, indem es sich
selbsterprobend erfährt, erleidet, sich selbst erträgt und somit sich selbst gemäß den stets wiedererstehenden Eindrücken an sich selbst erfreut (…).“6 Cornelius Völker inszeniert,
gleichermaßen lakonisch wie ungerührt, die conditio humana als zweifelhaft, angreifbar und
immer wieder auch komisch.
In keiner Werkgruppe wird die radikale, auf sich selbst zurückgeworfene, an den Körper
gebundene Subjektivität als Kern der menschlichen Existenz, wie sie Henry in seiner Tragik,
aber auch in ihren lustvollen, das Menschliche transzendierenden Momenten beschreibt,
wohl derart zugespitzt vorgeführt wie in Cornelius Völkers 2007 entstandener Werkgruppe
„Männer“. Männliche Figuren unbestimmbaren Alters mit nacktem Oberkörper stehen
einigermaßen verloren in perspektivlosen, dunklen Räumen, isoliert, halt- und konzeptlos. Ihr
Fleisch ist gezeichnet von Untätigkeit und Passivität, gehalten in schillernden Schattierungen
vom fahlen Gelb bis zum dunklen Violett: schlecht durchblutet, schlecht in Form und
schlecht gepflegt. Zugleich verweist die Vielfalt des Fleisches, das für jeden der männlichen
Protagonisten anders gestaltet ist – mal ungesund gebläht, mal phlegmatisch schlaff, mal
muskulär verspannt –, stets auch auf seine Verwundbarkeit.
„Pink ist immer schockierend und nackt“, betonte der Regisseur Derek Jarman einmal.7 In
der Malereigeschichte markierte die Fleischfarbe – und die mit ihr verbundenen Nuancen,
also alles Rosige, Rosarote, mithin Pinke8 – häufig den erotisch aufgeladenen Mittelpunkt
eines Bildes, auch und gerade wenn es auf das Göttliche verwies.
Maler wie Pontormo, Tizian oder Peter Paul Rubens, die für Völker eine exponierte Rolle im
Bezug auf die eigene Arbeit einnehmen, haben den Körper in den Mittelpunkt ihrer Malerei
gestellt und ihn als Topos benutzt, an dem Gehalte von Religion bis Erotik verhandelt wurden, ohne dass beide dabei klar voneinander geschieden wären. Von besonderem
Interesse für Völkers malerisches Vorgehen, das sich vor allem ikonographisch auf
zahlreiche Beispiele aus der Malereigeschichte rückführen lässt, ist vor allem der späte
Tizian. Vom kunstvollen Sfumato und der Perfektion der Physis seiner frühen Figuren, wie
sie etwa in der Venus von Urbino oder der Danae und der Goldregen, aber auch dem
Heiligen Sebastian exemplifiziert werden, entwickelte der Maler im zu seiner Zeit
umstrittenen Alterswerk – insbesondere in seiner Darstellung der Pieta oder der Schindung
des Marsyas – einen völlig neuen malerischen Duktus, in welchem die Geschlossenheit der
Haut zunehmend verdüstert und aufgebrochen, geradezu aufgewühlt wird. Die auf das
Göttliche verweisende, überirdische Perfektion der Danae9 wird abgelöst von der Darstellung
von Verletzlichkeit und dem Verweis auf das Gefallene und Geschundene der menschlichen
Existenz, die sich vor allem in den Valeurs des Fleisches manifestiert. Auch in Cornelius
Völkers dynamisierten, vom Eigenleben von Farbe und Pinselschrift dominierten
Körperdarstellungen, beginnend mit „Feinripp“ und „Männer“, lässt sich nachvollziehen, wie
stark die Darstellung von Fleisch und Haut von der opaken, frühen Auffassung, die etwa
noch seine „Großen Damen“ (1995) prägte, mittlerweile abweicht. Heute scheint in der
Gestaltung von Haut häufig der gelbe Untergrund durch, auf den ein leuchtendes Pink gesetzt
wird. Die Oberfläche des Fleisches wird, aus der Nähe besehen, von abstrakt anmutenden
Farbstrudeln durchsetzt, die aus der Entfernung die eigentliche Physis bilden10. Die Offenheit der Farbe läuft der Geschlossenheit der Körper verstärkt zuwider.
Im Alltäglichen, Konventionellen, immer wieder auch Banalen verankert, nimmt die Präsenz
der Völkerschen Antihelden, exemplarisch vorgeführt in seinem Zyklus „Männer“, die
Betrachter für sich ein. In ihrer Zwiespältigkeit, Latenz und Unentschiedenheit
konterkarieren diese gebrochenen Typen das klassische, auch kunsthistorisch über
Jahrhunderte manifestierte Ideal des strahlenden, vitalistischen Helden11 in einem Maße, das
bei den Betrachtern sehr unterschiedliche Formen von Involviertheit auslöst. In ihrer
körperlichen Stillgelegtheit bilden sie jedoch nicht nur die Antithese zum virilen klassischen
Helden der Malerei, den auch die Moderne nur ansatzweise zu brechen vermochte, sie
scheinen mithin auch jenen Geistes zu sein, der schon Philip Gustons drastische, pinklastige
Darstellung des „artiste maudit“ aus dem Jahr 1973 prägte: Painting, Smoking, And Eating.
Aller Heilsversprechen oder immanenter Transzendenz enthoben, auf die die Maler
vergangener Epochen sich berufen mochten, ist der Körper der Moderne zum zentralen
Schauplatz künstlerischer Auseinandersetzung geworden – von Picassos Desmoiselles über
Willem de Koonings pinkfarbene Engel12 und Frauen13, den Emblemen von
Geschlechtlichkeit, wie Louise Bourgeois14 sie schuf, bis hin zu den drastischen
Physiognomien Jenny Savilles. Die Präsenz des Körpers wird in der Malerei Cornelius
Völkers jedoch stets in Frage gestellt, indem sich die Malerei immer auch als abstrakte Form
vorführt. Dies gipfelt in seiner malerischen Attacke auf die Putten des Barock, die bei ihm in
„Puttiklatsch“ (1998) das gleiche Schicksal erleiden wie eine lästige Fliege: die den Körper markierende Farbe wird von der ebenfalls aus Farbe bestehenden Fliegenklatsche
zerschnitten. Die von der Malerei erfundenen Wesen werden bei Völker wieder zum farbigen
Brei zerdrückt.
Der malerische Duktus wird, wie dieses Beispiel belegt, oftmals entlang des Motivs
entwickelt – dieser Ansatz zeigt sich auch in den „Feinripp“-Bildern (1998), in denen die
statischen Torsi im „Dripping and Pouring“ des Farbauftrags aufgelöst werden. In diesen
Arbeiten quellen monumentale Schenkel aus der Wäsche, schnüren Träger die Haut ein;
werden Bäuche zu brodelnden Kratern. Der zentrale Topos „Fleisch“ zeigt sich hier voll
abstrakter, eigenständiger Gehalte und behält darin stets etwas nicht Domestizierbares. Wie
auch in den späteren „Hände“-Motiven bildet dabei die stark bewegte Darstellung dessen,
was innerhalb der Körperkontur geschieht, einen markanten Kontrast zum monochrom
aufgefassten Umraum. So bilden der Torso in “Feinripp“ aber ebenso die Röcke der
weiblichen „Hände“-Figuren jeweils ein abstraktes Bild im Bild.
Die Haut: das Phantasma der Farbe
Im Zeitalter der perfekten künstlichen Haut15, von Fotografie und Werbung stets makellos
präsentiert, von metallischer Glätte überzogen, von einer ganzen Industrie verfeinert und
porenlos gemacht, verschiebt sich die Wahrnehmung dessen, was als ursprünglich und
unmanipuliert wahrgenommen wird, nachhaltig. In einer Zeit, in der „Haut“ zur umfassenden
kulturellen Metapher für Perfektion geworden ist, und Attribute von Glätte, Jugendlichkeit
und organisch anmutender Haptik sich längst auch auf amorph wirkende Oberflächenstrukturen in Architektur, Mode- und Alltagsdesign übertragen haben, kommt
der Unmittelbarkeit und Authentizität einer sinnlichen Erfahrung neue Relevanz zu. Wenn
selbst ein massenproduziertes, elektronisches Gerät wie ein Mobiltelefon, überzogen mit
einer schmeichelnden Polymerhülle, sich geradezu anfühlt wie ein lebendiger Körper,
verwischt die Grenze zwischen Körper und Objekt. Diese Entwicklungen haben in den
letzten drei Dekaden zu einer Verschiebung dessen geführt, was im kollektiven Bewusstsein
als Konzept des „Realen“ gelten mag. Nicht zuletzt in der Kunst, insbesondere in der
Fotografie, haben digitale Bildgenese und Bildverfeinerung eine ubiquitäre Flut hochgradig
perfektionierter, fiktiver Bilder hervorgebracht, in denen die Physis zur Chiffre verflacht oder
kunstvoll überhoÅNht wird.
Umso reizvoller wird das Unberechenbare, Unkalkulierbare eines Pinselstrichs, der sich an
etwas nur scheinbar Vertrautem wie der menschlichen Physis delektiert. Die physischsinnliche
Komponente eines Gemäldes lässt sich nicht digital generieren. Die Ambivalenz
der mit einem Pinsel gezogenen, verwischten, tropfenden, strudelnden Farbe, die das Motiv
hervorbringt und es zugleich mit unserer Vorstellung von ihm zusammenfallen lässt, doch
nur, um im nächsten Moment als reiner Farbstrudel zu agieren, macht den Reiz dieser
Malerei aus. Dabei entspricht die Farbhaut stets der „Haut“ des Bildgegenstands: Form und
Inhalt, Prozess und Ergebnis fallen ineinander. Besonders deutlich wurde dies etwa in den
2006 entstandenen „Masken“, in denen auf die Haut der dargestellten Frauen die
Gesichtsmaske als doppelte Haut, als zweites Gesicht gelegt wurde und auch in den
Farbschichtungen nachvollziehbar blieb.
Anstelle der mimetischen Nachahmung des Realen offenbart sich in Völkers Gemälden stets
die Konstruktion des Motivs, das nur für einen Moment im Bild festgehalten wird, um im
nächsten in die Abstraktion transponiert zu werden, sobald es aus einem anderen Blickwinkel
oder aus der Nähe besehen wird. Das gefundene Motiv konfrontiert den Betrachter stets mit
der eigenen Auflösung.
Dem entspricht auch der malerische Prozess: auf lange Phasen der Motivsuche und ihrer
Entwicklung steht eine relativ kurze, stark beschleunigte Malphase, in der die Motive in
einem Schwung, ohne Zwischentrocknungsphasen gemalt werden, nass in nass ohne
Möglichkeit zu späteren Korrekturen. Diese Maltechnik erfordert ein gleichermaßen
spontanes wie gezieltes malerisches Vorgehen, das eine locker zueinandergefügte, kaum
ineinander vermalte Farbstruktur ergibt. Das offene Gewebe des Bildes konserviert die
malerische Setzung und macht sie unmittelbar nachvollziehbar: Die Farbe, die auch nach
Jahren noch wie frisch aufgetragen wirkt, ermöglicht Durchblicke auf darunter liegende
Sedimente und Grundierung. Dergestalt zeigt sich immer wieder das Fragmentierte des
Motivs, das trotz seiner auf die Ferne wirkenden Geschlossenheit das Konstruierte und darin
auch Mutwillige offenbart. Aus der Nähe betrachtet, fasert das Motiv auf und scheint zu
zerfließen, so dass der Betrachter sich für einen Moment fragen mag: Wieso ergibt dieses
strudelnde Chaos überhaupt ein geschlossenes Ganzes, das sich als etwas Bestimmtes
erkennen lässt?
Bereits in der frühen „Schwimmer“-Serie (1994–96) löste Cornelius Völker das Motiv in der
stark verdünnten Ölfarbe auf. Ebenso wie die Körper im Wasser verschwammen, flossen
Farbe und Motiv ineinander. Die Zerteilung des Körpers durch ein anderes Element, die der
Zerteilung des Motivs durch Farbe entspricht, lässt sich auch in einer deutlich anders
gestalteten Motivreihe erkennen, den „Feinripp“-Bildern aus dem Jahr 1998. Hier fokussiert
der Maler in überlebensgrossem Format, Motiv und Duktus auf die ambivalente Präsenz des
Leibes: Die stark ausschnitthaft aufgefassten Figuren in wenig schmeichelnder weißer
Unterwäsche thematisieren, darin den „Männern“ vorgreifend, das Verwundbare und
Angreifbare des menschlichen Körpers. Doch verweist die Fragmentierung des Körpers
durch Kleidung, so in „Feinripp“, aber auch in den Serien „Pulli“ (1998/99), „Handtaschetragen“ (2000), „Beine“ (1997/98) und „Hände“ (2000–2003) noch auf einen
weiteren Aspekt: Der Körper wird nie in seinem ursprünglichen Zustand gezeigt. Der Körper
ist, wie jeder Gegenstand und jedes Tier in Völkers Bildern, gesellschaftlich, kulturell und
konventionell generiert, geformt und überformt. Die Kleidung ist somit ein essentieller
inhaltlicher Referent und wird zugleich im malerischen Prozess wiederum, wie sich an den
monumentalen „Hände“-Gemälden ablesen lässt, als Bild im Bild genutzt – wenn ein Rock
zur abstrakten Farbfläche wird oder die Muster von Kleidung, Strumpfhosen und
Handtaschen das Bild in die Abstraktion hinein führen.
Am Beginn des sogenannten „Cyber-“Zeitalters vor etwa zwanzig Jahren phantasierte man
noch von der bevorstehenden Immaterialisierung des Leibes, der sich in den modernen
Ätherströmen der Virtualität und ihren verfeinerten Apparaten letztendlich auflöse16:
„Werden wir nicht (…) den Ausschluß, die Stillegung einer menschlichen Physiologie
erleben, die man angesichts der Glanzleistungen der intraorganischen Nanotechnologien für
endgültig überflüssig hält?“17 fragte der französische Philosoph Paul Virilio am Beginn der
90er Jahre. Künstler wie Aziz+Cucher, Inez van Lamsweerde, Genesis Breyer P-Orridge
oder Stelarc griffen in der Folge diese Thesen auf und setzten sie in eigenen künstlerischen
Körpermodulationen um. Am anderen Ende der Skala schien die von der christlichen
Religion imaginierte und als Kulminationspunkt aller Hoffnungen gesetzte Inkarnation18
obsolet, wäre sie nicht über Jahrhunderte hinweg von den Künsten beschworen worden und
hätte so den Kanon der Kunstgeschichte wesentlich geprägt. Einigermaßen unberührt von diesen Diskursen arbeitet ein Maler wie Cornelius Völker, der auf dem Leib beharrt: mutwillig, unnachgiebig, wenig beeinflussbar. Ihm kann man nicht
schmeicheln. Er malt sich den Körper, ganz wie es ihm gefällt.

1 Oldenburg, Claes, „Ich bin für eine Kunst …“ in: AusstKat. Claes Oldenburg: Eine Anthologie, Kunst und Ausstellungshalle der BRD, Bonn, 1996, S. 97.
2 Muehl, Otto, „Die Materialaktion“, in: Happenings: Fluxus. Pop Art. Nouveau Réalisme. Eine Dokumentation, hg. von Jürgen Becker und Wolf Vostell, Reinbek, 1965, S. 363.
3 Vgl. Spies, Werner, „Leib und Eigenschaft“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. 3. 2010.
4 Titel einer Bildserie von Cornelius Völker aus dem Jahr 1999.
5 Henry, Michel, Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches, Freiburg/München, 2002, S. 261.
6 Ebd., S. 15.
7 Jarman, Derek, „Chroma“: Ein Buch der Farben, Berlin, 1995, S. 167.
8 Vgl. Nemitz, Barbara, Pink: The Exposed Colour, Ostfildern, 2006.
9 Vgl. Bohde, Daniela, „Farbe, Fleisch und Licht: Tizians Danae-Darstellungen“, in: dies., Haut, Fleisch und Farbe; Körperlichkeit und Materialität in den Gemälde Tizians, Emsdetten/Berlin, 2002, S. 151–177.
10 Erstmals vorgeführt wurde die Fragmentierung der Haut in Gelb und Pink von Völker im Jahr 1998, u.a. in den Serien „Ballerinen“ und „Feinripp“.
11 Vgl. Belege hierzu in: Kröner, Magdalena, „Out of Touch. Der haltlose Mann in den Gemälden von Cornelius Völker“, in: Cornelius Völker, „Männer“, Verlag Kettler, Bönen, 2010, S. 7–15.
12 Willem de Kooning, Pink Angels, 1945.
13 Ebd., Pink Lady, 1944, Two Women, 1964.
14 Vgl. Louise Bourgeois, Nature Study, 1984, Mamelles, 1991, Three Horizontals, 1998.
15 Vgl. Lupton, Ellen (Hg.), „Skin“. Surface, Substance and Design, New York, 2003.
16 Virilio, Paul, Rasender Stillstand, München/Wien, 1992.
17 Ders., „Die Eroberung des Körpers“, München/Wien, 1994, S. 131.
18 Vgl. Henry, Michel, „Phänomenologie der Inkarnation: das Heil im christlichen Sinne“, in: op.cit, S. 265–399.