Wow - Wow

von Gerhard Finck
aus: Cornelius Völker - Hunde, Edwin Scharff Museum Neu - Ulm, Museum Morsbroich Leverkusen, Neu - Ulm, Leverkusen, 2002

Wow – Wow

"Entre chien et loup" ist im Französischen die Bezeichnung für das Zwielicht der Dämmerung, in der man den Hund nicht vom Wolf unterscheiden kann.
Der Unterschied, die Differenz zwischen dem einen Ding und dem anderen, mehr aber noch die Unterscheidung zwischen dem Gegenstand und den Sphären der Imagination, ist auch ein altes Thema der bildenden Kunst. Schon in der Renaissance warfen die Bildhauer der Malerei vor, diese stelle ein illusionistisches Bild der Welt, eine Täuschung, ein Trugbild her, während sie, die Bildhauer selbst, fassbare Ebenbilder des Tatsächlichen schüfen. Dieser Konflikt um die Legitimität unterschiedlicher Realitätsebenen, um Sein und Schein, erlebte im Lauf der Jahrhunderte zahlreiche Metamorphosen. Bereits aus der Antike ist eine Anekdote überliefert, die den Grad der Wiedererkennbarkeit von Gegenständen im Bild zum Thema hat; so berichtet Plinius, Zeuxis habe Weintrauben gemalt und Spatzen seien herbeigeflogen, um an den Trauben zu picken. Zu Gast bei dem Malerkollegen Parrhasios, bittet Zeuxis diesen, den Vorhang, der eines seiner Bilder verdeckt, beiseite zu schieben. Aber: der Vorhang ist gemalt. 1)

Im 20. Jahrhundert ist die Frage des Kunstkritikers Alan R. Solomon angesichts des ersten Fahnenbildes von Jasper Johns "Is it a flag, or is it a painting?" vielleicht das treffendste Statement zu diesem Problemkreis. 2)

Von neuem geschürzt allerdings hatte den Knoten Wassily Kandinsky. Er beschrieb in seinem Essay "Rückblicke", 1913, die Wirkung, die ein Heuhaufen-Gemälde von Claude Monet auf ihn ausgeübt hatte: "Vorher kannte ich nur die realistische Kunst (...), und plötzlich zum ersten Mal sah ich ein Bild. Dass das ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog. Erkennen konnte ich ihn nicht. Dieses Nichterkennen war mir peinlich. Ich fand auch, dass der Maler kein Recht hat, so undeutlich zu malen. Ich empfand dumpf, dass der Gegenstand in diesem Bild fehlt. Und merkte mit Erstaunen und Verwirrung, dass das Bild nicht nur packt, sondern sich unverwischbar in das Gedächnis einprägt und immer ganz unerwartet bis zur letzten Einzelheit vor den Augen schwebt. (...) Die Malerei bekam eine märchenhafte Kraft und Pracht. Unbewusst war aber auch der Gegenstand als unvermeidliches Element des Bildes diskreditiert." 3) Die Differenz zwischen abbildender Kunst und einer Kunst, die "nur" Geistiges sichtbar macht, hat seitdem die Kunstgeschichte beherrscht wie kaum ein anderes Problem. Immer wieder haben Künstler versucht, Abbild und "reine Form" so miteinander in Einklang zu bringen, dass zwar das Abbild nicht ganz verlorengeht, sich andererseits aber auch nicht mehr zu sehr in den Vordergrund der Betrachtung drängt. Georg Baselitz sind möglicherweise in dieser Hinsicht die prominentesten und einprägsamsten Versuche gelungen ... .

Cornelius Völker dagegen gehört nach Sven Drühl "einer jungen Generation von Malern an, die sich uneingeschränkt zur Figuration bekennt. Jenseits von Rechtfertigungs- und Legitimationsdiskussionen hat Völker stets an seiner Bildsprache gearbeitet, hat Sujets in Reihen durchgespielt und sehr gezielt seinen Motivschatz erweitert. Ob Schokoladentafeln, Teebeutel, Butterbrote, Hände, Beine, Torsi in Feinripp-Unterwäsche, zerquetschte Putti, Schwimmer, Ballerinen, Hunde, Badeschlappen oder Trinkhalme, bei Völker dominieren die einmal erwählten Motive das Bild. Sie ruhen solipsistisch auf einem mehr oder minder monochromen, auf jeden Fall jedoch stark reduzierten farbigen Hintergrund." 4) Es ist Sven Drühl sicher darin zuzustimmen, dass Cornelius Völker grundsätzlich Gegenstände des Alltagslebens oder auch Menschen und Tiere abbildet. Aber die Art und Weise, wie diese sichtbare Welt hier vorgeführt wird, lässt darauf schließen, dass es dem Künstler in seinem Werk in erster Linie nicht um eine neutrale Produktinformation über die sichtbare Welt geht, sondern dass er seine Arbeit als einen Prozess versteht, in dem die Phänomene dieser Welt mit neuem Sinn "aufgeladen" werden.

Als technische Mittel zur Erreichung dieses Ziels der "Aufladung" stehen Cornelius Völker u. a. Ausschnittbildung, Dimensionssprünge und Platzierung der Objekte vor – nur scheinbar – neutralem Grund sowie ein stark vergröbernder Pinselduktus zur Verfügung. Sind etwa die Figuren der "Beine"-Serie alle etwa in Brusthöhe vom oberen Bildrand abgeschnitten, enden die Figuren der "Pulli"-Bilder, in welchen Männer und Frauen gezeigt werden, die sich einen Pullover über den Kopf ziehen, jeweils kurz unterhalb des Nabels. In solchen Bildern wird durch den gewählten Aus-, bzw. besser Abschnitt eine intensive Konzentration auf das Wesentliche erkennbar, zugleich zwingt die schiere Dimension der Bilder und der darin wiedergegebenen Figuren, die zwei bis drei Meter hoch sind, den Betrachter zur Aufmerksamkeit, während der Komplementärkontrast der Hintergründe die Figuren auf den Betrachter zuzudrängen scheint. "Wichtig, wichtig" signalisieren solchermaßen wiedergegebene Bildmotive auf den ersten Blick. Einem fragenden zweiten Blick freilich wird das Sujet ob seiner "Bedeutung" schnell suspekt. Dieser Moment des Zweifels an der Berechtigung der Wiedergabe eines solchen "trivialen" Sujets ist der Augenblick, in welchem die Malerei Cornelius Völkers, seine "peinture", ihre Chance nutzt. Plötzlich und unerwartet wird dem Betrachter klar, dass es hier am wenigstens um Pullovermuster oder um die Beine von Teenies in Sandalen und kurzen Röcken geht, sondern um die virtuose Inbezugsetzung von Farben, Formen und Linien zueinander. Man ist nun versucht, die einzelnen Teile des Bildes voneinander zu separieren, um sie "en detail" in ihrer malerischen Opulenz und Brillanz zu genießen. Der Gegenstand zerfällt, der Wunsch, die einzelnen Pinselspuren genauer zu untersuchen, um dabei festzustellen, wie geschickt und gekonnt da einer den Pinsel einsetzt, wird immer größer. Die Details ziehen den Blick an, man zoomt sich in das Bild und eilt von einer delikaten Fundstelle zum nächsten Detail. Erst im Zurücktreten wird das Sujet wieder als Ganzes erlesbar, nun allerdings bereichert um das Wissen um die enorme Delikatesse und Raffinesse des Farbauftrages.

In seiner "Hunde"-Serie ist es Cornelius Völker sogar gelungen, diesen Prozess der Wahrnehmung vom Gegenständlichen hin zum Detail und damit zum Abstrakten umzukehren. Einige seiner "Hunde" geben sich nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen, sondern werden zuerst als ein Gewirr von Pinselstrichen wahrgenommen, als Farbanhäufung, als dynamisch expressive Pinselstruktur vor glattem Hintergrund. Diese Bilder erschließen sich erst auf den zweiten Blick, und am leichtesten, wenn man die ganze "Hunde"-Serie vor Augen hat, als Darstellung von "Hunden". So wie der Hund hier kaum mehr vom Farbklecks zu unterscheiden ist, fallen da Gegenständlichkeit und Abstraktion in eins. Wie es scheint, ist Cornelius Völker damit in manchen seiner Hunde-Bildern also die Quadratur des Kreises gelungen: die Antinomie zwischen der Abbildung des Gegenstandes und der Abstraktion ist aufgehoben. Gerade diese Gratwanderung zwischen Figuration und Abstraktion macht die "Hunde"-Bilder von Cornelius Völker so interessant; denn damit kommt ein Drittes ins Spiel, nämlich die Bedeutung dieser "Hunde". Es handelt sich in dieser Serie ja durchwegs um kleine Hunde, Schoßhündchen, mithin eher um Accessoires des modernen Lebens. Nicht dargestellt sind große Hunde, die spezifische Aufgaben, etwa als Blindenhunde, Hirtenhunde, Polizeihunde oder segensreiche Bernhardiner erfüllen. Völkers kleine Tiere, deren Auftritt Emotionen wachruft, die zwischen Entzücken und Mitleid pendeln, sind ephemere Gestalten, über deren Status als abzubildendes Sujet möglicherweise Zweifel aufkommen könnten. Gerade die Indifferenz gegenüber diesen "Petitessen" macht Völker zum Thema, wenn er die Hintergründe seiner Bilder mit größter Akribie möglichst glatt und makellos vorbereitet, um darauf mit dicken und, wie man vermuten möchte, schnellen Pinselstrichen (aber das kann täuschen!) seine Hündchen zu "klecksen". Geht es dem Künstler dabei jeweils wirklich um ein Portrait dieser kleinen Darlings oder sind die Hündchen nur Vorwand für den Akt des Malens und für das "gelungene" Bild? Letzteres scheint wahrscheinlicher zu sein ...

Dr. Gerhard Finckh Dr. Helga Gutbrod
Direktor Museum Morsbroich, Direktorin Edwin Scharff Museum,
Leverkusen, Neu-Ulm

  1. Nach E. Kris/O. Kurz: Die Legende vom Künstler – Ein geschichtlicher Versuch. Wien 1934, zit. nach der Ausgabe Frankfurt 1980, S. 90

  2. "Is it a flag, or is it a painting?" – Jasper Johns, Ausstellungskatalog, The Jewish Museum, New York 1964, S. 8, zit. nach C. Geelhaar: Jasper Johns – Working Proofs, Basel 1979, S. 33 u. 39

  3. Wassily Kandinsky: Rückblicke, 1913, zit. nach H. K. Roethel/J. Hahl-Koch (Hrsg.): Kandinsky. Die gesammelten Schriften, Band 1, Bern 1980, S. 27 – 50, hier S. 32

  4. Cornelius Völker: Pathos ist mir grundsätzlich zuwider. Ein Gespräch mit Sven Drühl. In: Kunstforum International, Band 158, 2002, S. 258 – 269, hier S. 259