Wenn zwei dasselbe tun...

von Renate Puvogel
aus: Ausstellungskatalog der Kunsthalle Lingen, 2004

Normalerweise sticht einem beim Anblick eines Kunstwerks auf Anhieb das, was dargestellt ist, ins Auge, erst danach rückt die Art seiner Darstellung ins Blickfeld. Dies gilt insbesondere für gegenständliche Malerei und Skulptur. Andererseits sind Wahrnehmung und Vorstellung so stark von der uns umgebenden realen Welt geprägt, dass die Augen selbst bei abstrakten Werken zunächst versuchen, in ihnen einen realen Vorwurf auszumachen. Bei den meisten Gemälden von Cornelius Völker verläuft hingegen der Prozess der Aufmerksamkeit anders: Im Augenblick der ersten Begegnung mit einem Bild erfasst der Betrachter nicht nur den Gegenstand sondern gleichzeitig und gleichrangig auch das malerische Ereignis. Dieses Phänomen, das bereits mehrfach konstatiert wurde, scheint sogar noch für jede farbige Abbildung von Völkers Werken zu gelten. Auf Wiedergaben seiner Gemälde in Katalogen oder auf Einladungen lässt sich Spezifisches wie Ansätze des Pinsels, Farbverläufe und Unterschiede zwischen pastos und lasierend aufgetragener Farbe deutlich ausmachen. Als Beispiel sei die Einladungskarte zu einer Ausstellung in der Züricher Galerie g i p herangezogen: Dargestellt ist bildfüllend und farbintensiv unzweifelhaft ein "Meerschweinchen", und zwar eines von der Spezies 'Rosette'. Ohne Frage wählt Völker mit diesem Bildsujet, mit welchem sich für viele Zeitgenossen der Inbegriff begehrt/verteufelter Familienerweiterung verbindet, ein besonders witziges und liebenswertes Motiv; es kommt, seinen kleinformatigen Bildern künstlich herausgeputzter Hunde vergleichbar, bei ihm überzeugend naturähnlich wie unkonventionell daher.

Wenn also einerseits der Bildgegenstand eines jeden Gemäldes unmittelbar in seinen Bann zieht, dann gilt es zu fragen, was diesen so unverwechselbar macht: Mal überrascht allein das Sujet, sei es Gegenstand oder Person, häufiger aber ist es die außergewöhnliche Situation, Haltung oder Bewegung, in welcher das Sujet vorgeführt wird. Die Szenarien reichen von hüpfenden Ballerinas bis zu Männern, die ihre Hosen herunterlassen. Bei der eingangs erwähnten Arbeit bezaubert das possierliche Tierchen auch ohne akrobatische Verrenkungen oder Beigaben, es bezieht seine Wirkung allein aus seiner kurzbeinigen Bodenhaftung und dem bestrickend einfallsreich gestalteten Fell. Und beides erreicht Völker mit malerischen Mitteln, er erwirkt Realitätsnähe gerade dadurch, dass er sich malend aus mimetischer Nachahmung befreit. Die Malerei verselbständigt sich, wird Bild. Das Tier ruht mit seinen rosa Zehen sicher auf dem Boden, obgleich dieser ohne Raumbegrenzung gegeben ist; statt dessen ist der Körper von einer blauen Fläche hinterfangen, die sich von unten nach oben hin kontinuierlich aufhellt. Und im Gegensatz zum abstrakten, wenn auch leicht atmosphärischen Hintergrund triumphiert das opulente Fell. Ausgehend vom runden Kopf mit seinem vereinnahmenden 'Augen-Blick' und den rosa Ohren, breitet es sich in kreuz und quer verlaufenden Wirbeln pastoser Farbe aus. Die Abbildung gibt das gesamte Gemälde wieder, so klein oder groß dessen Abmessungen auch sein mögen. Der Farbauftrag entspricht also dem des Gemäldes und ist nicht etwa ausschnittvergrößert. Und er ist tatsächlich bis hin zu winzigen, sich verselbständigenden Farbsprengseln auf dem blauen Grund als reine Farbmaterie erkennbar.

Jeder Kunstbetrachter macht ja angesichts großer Formate zu seiner Überraschung immer wieder die Erfahrung, dass er ein Bildmotiv aus überschaubarer Entfernung gut identifizieren kann, dass es sich beim Herantreten an die Leinwand indes in reine Farbflecken auflöst. Dem entgegengesetzt bleibt die Malweise aus der Ferne betrachtet häufig unergründbar und lässt sich erst aus der Nähe eingehender studieren. Auf Völkers Bildern hingegen sind, wie die "Meerschweinchen"-Abbildung bereits gezeigt hat, auch von weitem die Schlieren, Kleckse und Durchmischungen der Ölfarbe in ihrer materiellen Konsistenz wahrnehmbar. Diese Wirkung ist nicht zuletzt der großzügigen Geste zu verdanken, mit welcher der Künstler Farbe mit bevorzugt breitem Pinsel aufträgt. In dem Zusammenhang sei nebenbei bemerkt: wenn es ein Indiz gibt, an dem man Studenten des Düsseldorfer Akademieprofessors Dieter Krieg erkennen kann, dann ist es die Absage an jegliche pedantische Akribie, sprich Kleinlich- und Kleinteiligkeit zu Gunsten einer frech daherkommenden, teilweise rüden, immer aber freien, großzügigen Malweise. Eindeutiger als sein Lehrer verzichtet Völker auf eine kompositorische Zusammenstellung mehrerer Gegenstände, statt dessen setzt er meistens einen einzigen Körper vor ebenen Grund. Doch gerade diese Positionierung unterscheidet beide Maler grundlegend. Während in Kriegs Bildern das Figur-Grund-Problem als ein seinem Namen alle Ehre machender Krieg stattfindet, zieht Völker die Trennlinie eindeutig: der Gegenstand steht herausgehoben unabhängig vor nahezu abstraktem Grund.

Die Motive der Bilder sind denkbar einfach und jedermann vertraut: das Spektrum reicht von Badelatschen, Handtüchern, Porträts von Hunden über solche von weiblichen Protagonisten, Frauen mit Vierbeinern, Frauen mit Handtaschen, Gestalten, die sich Pullover über den Kopf ziehen bis hin zu den neuesten Bildern, auf denen Bettzeug zum Lüften aus offenem Fenster ausgelegt ist. Völker nimmt also nie etwas Unbekanntes, gar Exotisches ins Visier, sondern füllt seine Leinwände mit erkennbaren Figuren und deren geläufigen Requisiten. Allerdings klopft er auch anstößige Dinge darauf hin ab, in wie weit sie sich als bildtauglich und/oder bildwürdig erweisen. Das Thema selbst gibt also oberflächlich gesehen keinerlei Rätsel auf, so dass sich der Betrachter nicht damit aufhalten muss, dieses zu entziffern, statt dessen kann er sich unmittelbar dem Wie von Gegenstand und Malweise zuwenden.

Dass das Augenmerk gleichzeitig sowohl auf ein Motiv wie auf dessen Darbietung fällt, liegt also zunächst einmal in der souveränen Methode begründet, ersteres unmittelbar identifizieren zu können. Das Bild scheint seine Unverwechselbarkeit paradoxerweise gerade der absoluten Präsenz seines Gegenstandes zu verdanken, und diese stellt sich dadurch her, dass die Malerei unabhängig von ihm besteht und ihre analog zu sehende Eigenständigkeit gewährleistet ist. Sichtbaren Ausdruck von der Art, wie sich der Gegenstand darbietet, findet sich in den farbgesättigten Schwüngen, den Spritzern und sanfteren Farbströmen. Diese Gegenwärtigkeit von beidem, von Gegenstand und seinem malerischen Niederschlag kommt eben nicht dadurch zustande, dass die Farbe den Gegenstand plastisch modelliert und ihm somit dienstbar gemacht wird, indem sie ihn illusionistisch als Körper formt. Vielmehr geht Völker mit Farbe auf der flachen Leinwand modulierend zu Werke, die Malerei gewinnt eigene Realität und behauptet sich souverän als Partner und Widerpart zum Gegenstand. Auf Grund dieser Interpretationen könnte man schließen, dass Völker dem Kritiker Clement Greenberg posthum noch alle Ehre erweist. Dieser hatte Mitte der 50er Jahre geradezu dogmatisch vom - wohlgemerkt - abstrakten Maler gefordert, sämtliche fiktiven Tiefen zu Gunsten der einen reinen Bildfläche einzuebnen. Mit Aufkommen der Pop-Art Ende der 50er Jahre hebelte der Kunsthistoriker Leo Steinberg dieses Postulat aus, ja er übertrumpfte es noch dadurch, dass er den Bildern der am Realen orientierten Pop-Artisten, namentlich denen von Jasper Johns, eine noch größere Flachheit abzulesen vermochte. Ein solcher Richtungsstreit, der die damalige kunstinterne Szene New Yorks beschäftigte, kümmert Völker trotz sichtbarer Berührungspunkte wenig; ihm ist trotz seiner Begeisterung für und intensiver Beschäftigung mit Größen der Malerei wahrlich nicht daran gelegen, theoretische Prinzipien in Malerei umzusetzen. Auch die Farben wählt er nicht nach aus der Theorie entwickelten Leitsätzen aus, indem er etwa Komplementärkontraste sucht oder diese bewusst meidet. Pentimenti lässt seine Vorgehensweise vielfach nicht zu, vor allem, wenn es heißt, Gegenstandsfarbe auf noch feuchten Grund zu setzen. So kommt es immer wieder dazu, dass Völker ein seiner Meinung nach missglücktes Opus vernichtet.

Betrachtet man die Figurenbilder von Völker eingehender, dann fällt ein besonderes Merkmal ins Auge: So vielfältig Maler seit alters her um die Darstellung der menschlichen Figur gerungen haben - ungewohnt ist wahrlich, vom Körper lediglich das gute Mittelstück dargeboten zu bekommen; mal ist in Völkers Menschenbildern der Rumpf hals- und kopflos, mal seiner Beine und Füße beraubt, teilweise auch gänzlich auf sich selbst gestellt. Welchen Körperausschnitt Völker wählt, hängt vorwiegend davon ab, welches Thema er sich vorgenommen hat: Bei den Frauen mit Handtaschen ist das Vorzeigeobjekt vor dem Leib zentral ins Bild gerückt. Sein Versuch, dieses Thema ins große Format aufzublähen, führt übrigens zu dem Resultat, dass das Requisit hier nahezu als singuläre, abstrakte Fläche zu lesen ist. Um die Beziehung zwischen Objekt und Person glaubhaft zu machen, müssen aber in jedem Fall die Hände der Besitzerin hinzukommen. Bei Personen, welche sich damit abmühen, einen Pullover über den Kopf zu ziehen, kann sich der Maler voll darauf konzentrieren, deren Oberkörper so zu gestalten, dass ihre Mühsal bei der Hangelei zum Ausdruck kommt. Vor schwarzem Grund heben sich in der "Pulli"- Serie die fleischfarbenen Arme und das verknäulte Kleidungsstück geradezu emblematisch ab. Und wenn es darum geht, eine Fenstersituation einzufangen, bei welcher die ausgelegten Betten im Zentrum stehen, dann bedarf es nicht der gesamten Hausfassade, auch nicht des Innenraumes, sondern lediglich der Positionierung von Bettzeug im Fenster.

Derlei Bildfindungen können nur aus genauer Beobachtung von ebenso gängigen wie komischen oder grotesken Situationen des Alltags gewonnen werden, Rituale, in welche sich der Maler durchaus einbezogen fühlt. Diese persönliche Anteilnahme teilt sich dem Betrachter unmittelbar mit, so dass das soziologische Moment selbst bei heiklen Situationen nie verächtlich ausfällt, sondern immer vom Künstler getragen ist, und zwar genau genommen von seiner Malerei. Ebenso entscheidend wie Völkers Interesse an soziologischen Fragen scheint jenes an psychologischen zu sein: Völker gelingt es, in seinen noch so fragmentierten Figuren deren Empfinden einzufangen: Wie stellt das Mädchen seine Füße auf, um sich in Szene zu setzen, wie trägt eine Person ihre Tasche, welche Verrenkungen vollbringt eine andere, um sich ihres Pullovers zu entledigen, und in welcher Weise gibt sich eine dritte zu erkennen, die einen Staubsauger an der Hand führt. Kunsthistorisch gesehen ließe sich daraus vielleicht folgende Gegenüberstellung ableiten:

Wenn auch die Malerei von Völker in ihrer flächig sich ausbreitenden Kühnheit und ihrer mangelnden Plastizität eher an jenem kunsthistorischen Zweig orientiert ist, dem man etwa Matisse zurechnet, so haben Völkers elementar empfundene Szenen doch augenscheinlich auch dessen Antagonisten, nämlich Picasso zum Vorbild: Es gibt nur wenige Maler der Klassischen Moderne, die wie Picasso sogar in äußerster Verknappung der Darstellung realer Situationen so stark die emotionalen Regungen seiner Figuren einfängt. Wie wohl sich eine weibliche Figur bis in ihre gespreizten Fußspitzen hinein fühlt, wie sie sich andererseits dem sie porträtierenden Maler gegenüber souverän und provozierend präsentiert, das teilt sich dem Betrachter von Picassos Werken immer mit. Ähnlich jenem hat auch in Völkers Bildern jedes Glied des Körpers Anteil an der physischen und psychischen Befindlichkeit der dargestellten Person. So kann in den "Pulli" genannten Bildern die sich windende Bewegung der kopfverhüllten Pulloverperson mal zum Akt der Hilflosigkeit, ein andermal zu einem des Sieges geraten. Eine solche Beobachtung gibt dem Betrachter erstmalig die Möglichkeit an die Hand, malerische Spitzfindigkeiten auf ihre inhaltliche Bedeutung zu hinterfragen. Ganz augenscheinlich kann man bei Völkers kopflosen Figurenbildern sogar aus Körperhaltung und Gestik, aus der Art, in welcher sie ihre Taschen verlegen schützen, fest umklammern oder stolz vorzeigen, noch auf die Mimik als Ausdruck seelischer Verfassung wenn nicht gar auf die Haarfarbe der Repräsentanten schließen.

Andererseits bewahrt den Maler die Methode, Figuren zu verkürzen und sie anzuschneiden, vor allzu betonter individueller Charakteristik und lenkt die Aufmerksamkeit stärker als alles andere auf die Malerei. Die Stelle, an welcher der Oberkörper am oberen und die Beine am unteren Bildrand enden, muss so kalkuliert sein, dass man sich nicht mit der Vorstellung von einerseits Strangulierten andererseits Knieverletzten zu quälen hat. Damit ist erreicht, dass sich die Figur vor dem geistigen Auge wie selbstverständlich ergänzt. Nicht nur für diese Bilderserie gilt, dass jeglicher Rahmen eine solch produktive Eigenarbeit zusätzlich erschweren würde; im Sinne von Barnett Newman soll sich auch bei Völker ein Bild über die Wand ausdehnen können.

Doch in Völkers Repertoire gibt es selbstverständlich nicht nur Torsi sondern auch die Ganzfigur. In der Serie "Staubsauger" aus dem Jahre 2002 steht jeweils eine mädchenhafte Frau, die mit einem Staubsauger bewaffnet ist, sinnend mitten in einem nahezu unbegrenzten Raum. Ein solcher Hintergrund hat so gar nichts von einem Innenraum, will sagen von der passenden Wirkungsstätte der weiblichen Person. Auch gibt er nicht das Spezifische einer Landschaft wieder, sondern vermittelt mit dem tief gezogenen Horizont eher den Eindruck einer Weltenbühne. Keine der jungen Frauen ist etwa bei emsigem Tun festgehalten, vielmehr trägt oder hält eine jede das technische Gerät oder stützt sich gar, wie in einem Falle, auf den metallenen Stab. In klassischem Kontrapost stehend, dabei ihre bloßen, präzise aufgesetzten Füße in Schlappen, nimmt die Protagonistin jeweils die Haltung einer antiken Statue ein; gleichzeitig ähnelt ihr Verhältnis zu dem Wunderding neben sich der selbstverständlichen Art, mit der in mittelalterlichen Darstellungen einer Heiligen ihr zugehöriges Attribut beigegeben ist. Aber Völker hat bei diesen Heldinnen des Alltags selbstredend weder die Antike noch das Mittelalter als Leitbilder vor Augen. Andererseits würde er sich gewiss auch dagegen zu Wehr setzen, mit feministischen Ideen in Verbindung gebracht zu werden. Eine solche Bedeutung nimmt das Motiv Staubsauger in einer Collage von VALIE EXPORT von 1976 ein. Hier hat sich die Künstlerin das Gemälde "Maria mit dem Granatapfel" von Botticelli (1482) vorgenommen. Den Platz der Madonna nimmt eine moderne Schöne ein und anstelle des Christusknaben hält sie in ihren Händen liebevoll einen Staubsauger. Diese Arbeit ist im Gegensatz zu denen des Malers aus EXPORTS Engagement für feministische Ziele zu verstehen und zeugt von ihrem gesellschaftskritischen Einsatz, mit dem die Künstlerin seit den späten 60er Jahren Pionierarbeit geleistet hat.

Noch gegen Ende der 90er Jahre hatte Völker seine Figuren, etwa die unter den Titeln "Große Damen" und "Beine" versammelten oder die "Ballerina" genannten aus einem einheitlich übergreifenden Umgang mit Farbe und Pinsel gewonnen. Heute hingegen beansprucht oftmals jedes körper- oder gegenstandbildende Detail eine eigene malerische Qualität. Als Beispiel sei das Gemälde einer weiblichen Gestalt vor dunkelrotem Grund herangezogen. In diesem großen Querformat aus der Serie "Hände" ist der dunkelrote Hintergrund wie eine abstrakte, nahezu monochrome Fläche angelegt. Den Armen und geballten Fäusten, welche das Rot des Fonds aufnehmen, kommt hingegen eine bestens durchblutete Fleischlichkeit zu. Die blauseidene Bluse wiederum hat stoffliche Qualität mit fast illusionistischen Lichtflecken, und der grüngrundige Rock schließlich könnte einem abstrakten Gemälde von Gerhard Richter aus den 80er Jahren entsprungen sein. Ziel dieser malerischen Prozeduren sollte sein, die unterschiedlichen, aus differenziertem Einsatz von Farbe und Pinsel gewonnenen Wirklichkeiten zu einem Gesamtklang zu vereinen.

Der Farbenreichtum der Bilder macht neugierig auf die vom Maler angewandten Techniken. Gerade angesichts des nuancenreich gestalteten Rocks in diesem Bild würde man schließen, dass Völker als Abnehmer mannigfaltigster Farben bei seinem Händler sehr willkommen ist. Ein guter Kunde dürfte er schon sein, aber das Spektrum der benötigten Farben beschränkt sich auf wenige Töne - selbst das Schwarz fehlt. Aus ihnen mischt er sich die gewünschten Varianten selbst. Und so stehen in seinem hellen Atelier unter den Fenstern auf langen Werkbänken unzählige Schalen wundervoll intensiver Farbtöne bereit, ohne weitere Vorbereitung auf die weiß grundierte Leinwand aufgetragen zu werden. Diese ist nicht etwa wie üblich vertikal vor der Wand aufgerichtet, sondern ruht horizontal auf dem Boden oder ist auf Kanister angehoben und kann so von allen Seiten bearbeitet werden. Völker verhindert dadurch, dass Farbe unerwünscht herunter tropft beziehungsweise ausläuft und sich in fremden Gefilden breitmacht. Bereits während seiner Studienzeit entschied er sich für diese nicht gerade bequeme Haltung. Um dennoch gelegentlich den Bildzustand aus größerem Abstand begutachten zu können, steigt er auf eine Leiter und nimmt zusätzlich noch einen Spiegel zu Hilfe. Die horizontale Lagerung erleichtert es ihm vor allem, die oben beschriebene Abgrenzung von Figur und Grund zu erreichen. Aber darüber hinaus bedarf jede einzelne Bildpartie besonders sorgfältigen Verfahrens. Um eine Fläche wie beispielsweise die des bunten Rockes gleichbleibend durchmodulieren zu können, muss der Maler den breiten, mit mehreren Farben angereicherten Pinsel vor jedem waagerechten Farbauftrag stets säubern. Andernfalls geriete das Amalgam der fertigen Partie in die neue hinein und die Rockfläche würde nach dem Gesetz der Entropie mehr und mehr zu einem undifferenzierten Ton in Richtung grau ausarten. Ein besonderes Indiz seiner Malerei ist obendrein, dass er den Gegenstand sehr selten und nur stellenweise farbig konturiert. Jedes Detail, ja jede Partie findet ihre Form und deren Begrenzung größtenteils aus dem flächigen Ausstreichen des zuvor gereinigten, mit frischer Farbe getränkten Pinsels. Dessen Bewegungsrichtung entspricht genau der des zu malenden Körpers und bleibt doch unverkennbar als Farbmasse erkennbar.

Deutlich nachweisen lässt sich dies etwa bei den Gemälden mit dem Titel "Badewanne". Die ovale weiße Wanne, die nahezu die gesamte Bildbreite beansprucht, wirkt dadurch, dass ihr eine Armatur fehlt und sie nicht in einen räumlichen Zusammenhang gebettet ist, wie ein Bild im Bild. In einem der Gemälde, die kompositorisch fast identisch sind, sich aber in der Farbigkeit deutlich unterscheiden, schafft der hellblaue Hintergrund die nötige Assoziation an das feuchte Element, eine Annäherung an Reales, welche das kardinalrote Badewasser wahrlich nicht leisten kann, weil es als teigige Masse den Mann wie mit einer Decke einhüllt. Glücklicherweise guckt von dem Helden jeweils nicht nur der Kopf heraus sondern auch die Knie. Dies suggeriert, dass er sich am Wannenboden abstützt, andernfalls würde die Komposition nicht im Gleichgewicht sein und der Mann in der Vorstellung im Urschlamm ertrinken. Für ein Wannenbild bietet sich naturgemäß das Querformat an. Dass Völker aber auch gelegentlich wie beschrieben die menschliche Figur ins Querformat steckt, ist nicht gerade üblich - ein Format, das man gemeinhin dem Landschaftsbild zuordnet.

Landschaft kommt bei Völker nicht vor, aber mit den Fensterbildern aus diesem Jahr bildet der Hintergrund erstmalig nicht eine neutrale Fläche sondern ist als Wand zu definieren. Allerdings gewinnt sie diese Bedeutung ausschließlich aus dem Bildzusammenhang und nicht aus einer irgendwie gearteten architektonischen Struktur. Ja, nicht einmal die Fensterleibungen sind mit deutlichem Profil plastisch hervorgehoben. Neu ist in dieser Serie auch, dass Völker die Fläche nach hinten hin öffnet und den Blick von außen nach innen richtet. Doch auch hier erzeugt der Maler keine räumliche Tiefe, statt dessen billigt er dem Fenster samt Rahmen, blinden Scheiben oder Gardinen und dem indifferenten Raum gerade so viel Realitätsnähe zu, wie es für das Verständnis erforderlich ist. Um so größeres Gewicht erhält das ausladende Bettzeug; dies bildet den eigentlichen Gegenstand. Die farbig bezogenen Decken sind trotz plustriger Bewegtheit und obgleich sie sogar Schatten werfen weniger plastisch sondern wie immer eher malerisch herausgearbeitet. Bei einem Gemälde dieser Serie allerdings quillt das weiße Bettzeug fast als Trompe L'oeil Effekt in den Realraum hinein, eine Illusion, die sich unmittelbar als reine Farbmaterie entpuppt. Letztlich bleibt auch das dreidimensionale Objekt flächig der Leinwand eingeschrieben. Das Verhältnis von Körper und Farbe stellt sich für jedes Detail eines Sujets als individuell zu lösendes Problem. Auf einigen Gemälden erweitert zusätzlich ein Parabolspiegel das anekdotische Moment, das dem Bettenthema ohnehin anhaftet, und es kommt bis in die Farbverwandtschaft hinein fast zu einer fröhlichen Zwiesprache zwischen Betten und Antenne.

Der Hang zum Humorvollen, der seine Bilder so sympathisch macht, zieht sich glücklicherweise durch das gesamte Werk von Cornelius Völker. Nicht zuletzt ist es die Frische und Unerschrockenheit, die Art, in welcher der Künstler Heroisches wie insbesondere die menschliche Figur vom Sockel holt, hingegen Banales und Vernachlässigtes wie etwa Zigarettenasche oder einen Apfelbutzen des Malens für wert erachtet, was den Zauber seiner Bilder ausmacht. Jedes neue Bildthema will vom Maler in seiner inhaltlichen und bildnerischen Eigenart erst einmal entdeckt werden, damit er hernach wie bei einer Zwiebel in weiteren Variationen zusätzliche Schichten bloßlegen kann. Daher ist es naheliegend, dass Völker so gut wie immer in Serien arbeitet; deren Teile zu betrachten und zu vergleichen bedeutet für den Betrachter ein pures Vergnügen, liefern doch die Bilder letztlich einen farbigen Spiegel unserer Gesellschaft, nicht zuletzt im Sinne des Sprichworts: wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.