Der Kannibalismus der Farbe
> English Versionvon Stephan Berg
aus: Malerei. Schirmer/Mosel Verlag, München, 2004
Die Malerei Cornelius Völkers lebt von der Lust an der Evidenz. Alles in ihr ist darauf angelegt den Betrachter sofort und unmittelbar in den sichtbaren Zusammenhang hineinzulocken, den sie selbst erzeugt hat. Im zumeist monochromen, glatt neutralen Hintergrund stehen die Motive, die durch ihre Isolation aus jeglichem Kontext förmlich aus dem Bild herausgehoben werden, so leuchtend und suggestiv, dass es nahezu unmöglich wird, sie nicht zu betrachten. Das Hin-Schauen, das jeglichen Akt des Bilder-Sehens notwendig begleitet, ist hier kein voluntaristischer Akt des Betrachters, es ist ein Zwang, der durch die Bilder ausgeübt wird. Dabei sind es weiß Gott keine weltbewegenden Themen, die uns Völker zumutet: Handtücher, Butterbrote, berockte Frauenbeine, Schokoladentafeln, Handtaschen, Torten, Hunde, Frauen mit Staubsaugern und Männer mit heruntergelassenen Hosen. Alltägliches, ausgedünnt bis in seine trivialsten, banalsten Randzonen. Aber all das präsentiert sich uns so, dass wir als Betrachter bedingungslos davor kapitulieren. Als strahlendes, unverschämt locker und scheinbar mühelos vor unsere Augen hingezaubertes Farbfest, das keinerlei Zweifel an seinen Motiven, an der Idee des Bildes oder den Möglichkeiten der Malerei zu kennen scheint. Seht her, scheinen diese Bilder zu sagen, gibt es irgendein Problem damit, ein gemaltes Bild zu sein? Wir haben jedenfalls keins! Als hätte sich das Medium nicht über Jahrzehnte durch skrupulöse Selbstbefragungen gearbeitet, sich mit der zunehmenden Unmöglichkeit der Darstellung und den immer ausgereizteren Möglichkeiten der Autonomisierung und solipsistischen Umkreisungen auseinandergesetzt. Als wäre auf diesem langen Wege formale Meisterschaft und offensive Mimetik nicht mit dem ätzenden Vorwurf des puren Anachronismus überzogen worden. Tatsächlich liegt ein Gutteil dessen, was an den Bildern des Düsseldorfer Malers frappiert und fasziniert darin begründet, dass hier jemand das Wagnis eingeht, das Bild wieder als einen malerischen Akt zur Disposition zu stellen, der seine Wirksamkeit nicht durch bildskeptisch grundierte Theoriegeschwader absichert, ohne deshalb vor den aktuellen Debatten zu diesem Thema auszuweichen.
In seinem Kern ist dieses Werk fasziniert von der Idee das Medium der Malerei zu sich selbst zurückzubringen, indem man es substanziell mit Motiven verknüpft, die diese elementare Setzung auf den ersten Blick zu hintertreiben scheinen. Oft wird dabei die Farbe als Substanz und Material so verwendet, dass sie quasi in die Materialität der dargestellten Motive hineinschlüpft. Zentimeterdick und pastos türmt sich die Ölfarbe zu Tortenstücken übereinander, in deren sahnig-fließende Weichheit man ebenso genüsslich hineinbeißen möchte, wie in die bereits angebissenen Butterbrote, deren saftige, cremige Aufstriche die Farbe nicht darstellen, sondern buchstäblich verkörpern. Ein früher Höhepunkt dieser hochsuggestiven Verstrickung von Darstellung und einem Bild-Ding, welches das Dargestellte buchstäblich zu verkörpern scheint, ist dem Maler mit seinen Schokolade- Bildern (1992 - 1995) gelungen. Durch die maßstabsgetreue Vergrößerung der ihrer Verpackung entkleideten Schokolade-Tafeln auf Bildformate von über zwei Meter Länge, verwandelt sich die auf Milka-Format gebrachte “shaped canvas” des Bildes buchstäblich in eine riesenhafte Schokoladentafel, deren leicht dumpfe, muffige Süße man noch förmlich zu riechen meint, und beharrt doch in ihrer in diesem Fall fast ausgenüchtert erscheinenden, trockenen Gitter-Raster-Malerei auf einem hohen Maß an Fremdheit und Abstraktheit. Nie hat man Schokolade gleichzeitig so nackt, so sehr als sie selbst und dabei doch vollkommen abstrakt und entsinnlicht sehen können. Die Befreiung von ihrer Hülle lässt sich so gesehen durchaus metaphorisch begreifen: als einen malerischen Striptease, der das gezeigte Ding auszieht und dabei sowohl kenntlich, wie unkenntlich macht.
Auch die “Schwimmer” (1994-1996) beziehen ihre Faszination aus dieser Scheinkongruenz zwischen Malerei und Malgegenstand. Die gegenständliche Lesbarkeit dieser Bilder speist sich vor allem aus badekappenbewehrten Köpfen, die, die aus der gewaltigen schillernden Farbmasse wie hilflose, kleine Bojen auftauchen, und ihr Umfeld als bewegte Wasserfläche kenntlich machen. Das Wässrige dieses Wassers betont Völker zusätzlich, indem er die Ölfarbe so verdünnt, dass sie schlierenhaft über die Bildfläche läuft, und damit das ,was sie malerisch darstellen soll, zu ihrem eigenen Aggregatzustand macht.
All das, was hier passiert, in diesem ambivalent funkelnden Zwischenreich, in dem Farbe sich in fetten weißen Quark auf einer Graubrotscheibe verwandeln kann, ist nicht etwa von der inzwischen zur Banalität verkommenen Sehnsucht gespeist, Welt und Bild zusammenfallen und eins werden zu lassen. Vielmehr inszeniert Völker diese formale Kongruenz gerade aus der Erkenntnis heraus, dass ein tiefer, unüberbrückbarer Graben zwischen den Dingen und ihren malerischen Aneignungen liegt. Es ist das Bewusstsein, dass die Mittel, mit denen der Maler arbeitet, immer nur Malerei hervorbringen können, das Völker dazu treibt, die körperliche, substanzielle Verbindung zwischen Mal-Material und Mal-Gegenstand bis zu dem Punkt zu treiben, an dem sie sich, im Moment des scheinbaren Ineinander-Übergehens, tatsächlich kategorial voneinander trennen.
Dass Völkers Investigationen insoweit immer Grundlagenforschungen nach den Bedingungen des malerischen Prozesses sind, zeigt auch die formale Disposition der Arbeiten. Das betrifft zum einen den Serien- und Reihencharakter aller Arbeiten, der den durchgespielten Motiven von den Hunden, bis hin zu den Unterhosen die Aura einer Systematik verleiht, sie also aus den Niederungen des zufällig Gefundenen heraushebt, und sie zu Paradigmen einer visuellen Grammatik macht, die an jedem Mal-Gegenstand seine Bildtauglichkeit akribisch und nuanciert durchspielt. Zum anderen lässt sich der in diesem Sinne analytische Impuls dieser Malerei daran erkennen, dass sie alles, was sie vorführt strikt isoliert, und auf ihren anti-illusionistischen, monochromen Malgründen in einer Weise ausstellt, die an die Positionierung von Laborpräparaten auf einem Seziertisch erinnert. Dies ist nicht etwa nur eine formale Kälte, die uns aus diesen Arbeiten entgegenweht, es ist eine kühle Härte, die die Grundstruktur des Völker ́schen Projektes betrifft. Was auf den ersten Blick als süffige Eleganz und lässiger Flirt mit dem retinalen Oberflächenreiz eines trivialen Motivfundus erscheinen mag, erweist sich bei genauerer Prüfung als kalkuliertes Lockangebot, in dessen Tiefen ein durchaus brachialerer und aggressiverer Ton herrscht.
Völker selbst hat in einem Interview gesagt, mit seinen Motiven lote er immer wieder aus, ob die Malerei diese aushalte (1). Und genau diese Spannung wird in den Arbeiten spürbar. Wenn an kitschig-wuscheligen Schoßhündchen die Farbe in breiten Bahnen herunterläuft und -soßt, dann ist dies nicht nur die an anderen Beispielen oben schon angedeutete Transsubstantion von Farbe in Hundefell und umgekehrt, sondern auch ein gewalttätiger Akt, bei dem das Motiv des Hundes solange mit Farbe überschüttet und zugekleistert wird, bis es nahezu in ihr ertrinkt. In der Gesichtslosigkeit fast aller Personen drückt sich nicht nur die Vermeidung von historischer Porträtmalerei aus, sondern auch eine harte Verneinung individueller Zuschreibung, an deren Stelle das Fragmentierte, aus dem Zusammenhang Gerissene erscheint. Gefaltete Hände, Verschränkte Arme, Knochige Beine, Torsi: Der Mensch als Teile-Lager für den begierig zupackenden Griff des Pinsels, der alles radikal in seine eigene Logik verwandeln will und dabei die Bilder gleichzeitig über die formale Nähe der eigenen Motive zu denen großer kunsthistorischer Vorbilder von Millet bis Van Gogh in eine genealogische Tradition des Mediums einsortiert.
Die meisten seiner Motive, insbesondere die Serie der “Beine” (1997) und der “Pullis” (1997 - 2000) sind deswegen für Völker im Sinne des oben Gesagten interessant, weil sie mit einer malerischen Doppelgesichtigkeit begabt sind: Im Bild bleiben sie erkennbar als glaubhafte Stellvertreter ihrer selbst und der malerischen Tradition, der sie entstammen, und entkörpern sich doch immer auch zur Metapher eines abstrakten Malprozesses. In der Reihe der “Beine” sind die Röcke, die im Mittelpunkt des Interesses stehen, einerseits tatsächlich das Motiv der Malerei, andererseits aber vollkommen selbstbezügliche Farbstücke, durch welche die Darstellung subversiv unterlaufen wird. Aber ebenso sehr wie diesen kategorialen Ambivalenzakt, kann man beispielsweise in den Pulloverbildern den Moment erkennen, an dem die Malerei sich selbst auszieht und quasi nackt und bloß vor uns steht. Man muss dabei nicht gleich an die Häutung des Marsyas denken und daran, wie beispielsweise Rembrandt dieses Thema auch dazu benützte, um den Pinselstrich zu einem schneidenden, stechenden Instrument zu machen, um zu begreifen wie viel an aggressiver Wucht auch in den Farbbahnen steckt, aus denen Völker seine Pullover entstehen lässt. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass alle diese “Pullis” immer auch Durchstreichungen der Gesichter sind, die sich motivlogisch betrachtet, in ihnen befinden sollten. Auch hier lässt die Art der Malerei immer beide Schlüsse zu: Dass es sich bei der Szene tatsächlich um nichts anderes als um das Über- oder Abstreifen eines Kleidungsstückes handelt, oder dass wir hier der partiellen Verselbständigung der Farbe bei der Arbeit zuschauen, wie sie amorph, weich und molluskenhaft ihre in weißem Feinripp nicht eben vorteilhaft gekleideten Gegner zu verschlingen droht.
Diesem Motiv der verschlingenden, saugenden Farbe begegnen wir auch in den oben bereits erwähnten “Schwimmern”, in denen der psychedelisch schillernde Malfluss die Schwimmenden in seine öligen Tiefen herabzuziehen droht. Entscheidend für eine solche dramatisierte Lesbarkeit des Bildgeschehens ist die Tatsache, dass die Farbe hier tatsächlich fließt. Auf eine beunruhigende Art und Weise gibt es keinen Halt in diesen Bildern. Die schlierige, lavaartige Ausbreitung der Farbe duldet im Grunde nichts, außer ihrer eigenen Aktivität, die hemmungslos und gierig auf Präsenz und Totalität besteht.
Die direkteste Form einer Brutalisierung des Bildgeschehens bietet zweifelsohne die 1996 entstandene Bildreihe “Puttiklatsch”, auf denen babyspeckig-weltliche Putti großformatig von einer Fliegenklatsche plattgedrückt werden. Die buchstäbliche Zermatschung des Gegenständlichen, die über das Motiv des Putto direkt in die kunsthistorische Tradition rückverlängert wird, erscheint als Akt der Befreiung, welcher der Farbe ihre Eigenwertigkeit zurückgibt, und zugleich als Hintertreibung dieser Autonomisierung: Denn zum einen wird die Fliegenklatsche, welche die weltlichen “Engelchen” zu bunten Farbflecken zerplatzen lässt, malerisch durchaus gegenständlich entwickelt, zum anderen trifft die Wucht ihres Aufschlags die Putti immer nur in dem Maße, dass ihre gegenständliche Lesbarkeit zwar gestört, nicht aber restlos aufgehoben ist.
Die buchstäblich dunkelste Visualisierung eines Bildbegriffs, in dem die Farbe ihre Gegenstände gleichzeitig erschafft und vernichtet, gelingt Völker mit dem kleinformatigen Zyklus “Asche” (2001). Auf der nachtschwarzen Bildfläche zeigt sich die Asche als weiß-bräunlicher Farbfleck, der von einer Ahnung blauschwarzen Rauchs umweht wird. Man könnte dies durchaus als einen Kannibalismus des Bildes an sich selbst bezeichnen. Von all dem, was die Farbe erschaffen kann, bleibt nur eine Schwundstufe: ein nahezu verbrannter Ascherest, dessen Rauch eine wahrhaft transzendenzlose Anti-Aura um das armselige Häufchen bildet.
Dies sind Bilder, die sich selbst verbrannt haben, bis hin zu dem Punkt, an dem das letzte Aufflackern der Asche die Demarkationslinie gegen ihr vollständiges Verlöschen bildet. Aber man täusche sich nicht: In allen Bildern dieses Malers, auch den opulent selbstsicheren Annäherungen an küssende Paare, staubsaugerhaltende Frauengestalten oder Handtüchern, steckt ein Stück weit dieses gefräßige Mal-Feuer, das permanent die Gegenstände, die es so eloquent beschwört, in letzter Konsequenz eigentlich verbrennen möchte.